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Rettung der reformierten gymnasialen Oberstufe - Modernisierung statt Abschaffung des bewährten Leistungs- und Grundkurssystems

Mittwoch, 28.05.2008

Das Kurssystem der bisherigen Oberstufe wird von fast allen Fachleuten als grundsätzlich erfolgreich eingeschätzt. So kam die Expertenkommission der Kultusministerkonferenz (KMK) 1995 zu dem Schluss, dass sich die Konstruktionsprinzipien der gymnasialen Oberstufe (GyO) grundsätzlich bewährt haben. Wesentliche Möglichkeiten zur Weiterentwicklung und Innovation der gymnasialen Oberstufe sah die Kommission daher innerhalb dieser Strukturen durch die Stärkung neuer Lernformen und Lernarrangements. In Hamburg wurden mit der Novellierung der Ausbildungs- und Prüfungsordnung der gymnasialen Oberstufe (APOgyO) 1998 eine Reihe qualitativ neuer Elemente in der gymnasialen Oberstufe eingeführt und bei der Novellierung zur Ausbildungs- und Prüfungsordnung zum Erwerb der allgemeinen Hochschulreife (APO-AH) 2003 bestätigt. Leider wurden die Innovationen (z.B. Facharbeiten oder Kompetenzkurse z.B. Geschichtsunterricht auf Englisch) nur an einer Minderheit gymnasialer Oberstufen Hamburgs umgesetzt.

Dennoch zeigt die Lernausgangslagenuntersuchung (LAU 13/ 2005), dass sich die Oberstufe mit den fünfstündigen Leistungskursen und dreistündigen Grundkursen bewährt hat. Die Ergebnisse für die Fächer Mathematik und Englisch verdeutlichen, dass in den Leistungskursen die größten Lernfortschritte erreicht werden. Die Arbeit in den Leistungskursen entspricht den Ansprüchen an wissenschaftspropädeutische Arbeit. Die Mängel in den Grundkursen sind der Tatsache geschuldet, dass es weiterhin an einer fundierten Grundkursdidaktik mangelt und sind auch Ausdruck der mangelnden Lernförderung und -entwicklung in der Sekundarstufe I. Die Reduzierung des Unterrichts auf zwei Wochenstunden in den meisten Fächern wird dieses Problem dramatisch vergrößern. In den geplanten vierstündigen Kursen der Fächer Deutsch und Englisch soll der Unterricht auf Leistungskursniveau gestaltet werden. Er zwingt alle Schülerinnen und Schüler zu einer intensiven Beschäftigung mit belletristischen Texten und literaturwissenschaftlichen Fragestellungen. Dies geschieht in Lerngruppen, deren Zusammensetzung völlig unterschiedlich hinsichtlich ihrer Fähigkeiten, Interessen, individuellen Schwerpunkte oder Studienperspektiven ist. Das Zusammentreffen von Unterforderung der in diesem Bereich besonders Interessierten und Überforderung des anderen (größeren) Teils erinnert an die fundamentalen Schwächen des deutschen Gymnasiums vor Einführung der reformierten Oberstufe in den 70er Jahren.

Als Fazit lässt sich festhalten: Eine überzeugende Argumentation, warum das bisherige System versagt habe und weshalb es nicht in der angesprochenen Weise verbessert werden könnte, wurde vom Senat bisher nicht vorgelegt. Vielmehr sind die behaupteten „strukturellen Probleme“ des Leistungs- und Grundkurssystems keine Probleme der Fächer- und Kursstruktur, sondern als Folge der in zu kleinen Einheiten organisierten Oberstufen und der Kürzung der Personalzuweisung um 25 Prozent in den vergangenen Jahren einzuschätzen. Daher erscheint die geplante Oberstufenreform als reine Sparmaßnahme.

Ziel einer Oberstufenreform sollte es sein, die Zahl der Abiturientinnen und Abiturienten bei gleichzeitiger Verbesserung ihrer Studierfähigkeit zu erhöhen. Die vom Senat vorgesehene Reform wird allerdings zum Ergebnis haben, dass weniger Jugendliche in Hamburg das Abitur ablegen. Die Abschaffung der Leistungskurse, die obligatorische Abiturprüfung im Fach Mathematik sowie die Unterrichtsverdichtung durch die Einführung des achtjährigen Gymnasiums werden den Druck auf die Schülerinnen und Schüler erheblich erhöhen.

Ganz allgemein sollten die geplanten Veränderungen sich an den Zielen der gymnasialen Oberstufe messen, über die bei allen Fachleuten und in allen KMK-Texten Konsens besteht: Im Zentrum stehen dabei die vertiefte Allgemeinbildung, die Wissenschaftspropädeutik sowie die Studierfähigkeit.

Nur eine Einführung der Pflichtprüfungsfächer Deutsch, Fremdsprache und Mathematik trägt nicht zu einer vertieften Allgemeinbildung bei. Vielmehr verschiebt sie die Gewichte im Gefüge der Fächer und Aufgabenfelder. Beispielsweise könnten zwei Fremdsprachen als Abiturfächer gewählt werden, nicht aber zwei Naturwissenschaften. Die Vorschläge des Senats, die Pflichtprüfungsfächer zu vermehren hätten dann zur Folge, dass spezielle und weniger angewählte Fächer sowie die Grundkurse an den Rand gedrängt werden.

Mit dem zweiten Ziel der gymnasialen Oberstufe – Wissenschaftspropädeutik als Einführung in die Denk- und Arbeitsweisen der Wissenschaften sowie ihre Reflexion und Kritik – lässt sich eine weitere Stärkung des fachübergreifenden und fächerverbindenden Unterrichts (z.B. in Profilen) begründen, nicht aber die geplante Neuregelung für die Abiturfächer. Es ist nicht überzeugend, dass man Recherchieren, Analysieren, Experimentieren, Präsentieren in den Fächern Deutsch, Mathematik oder Fremdsprache besser erfahren und lernen kann als beispielsweise in Geschichte oder Physik. Als Kernbereich der Studierfähigkeit bestimmten die Fachwelt, die OECD aber auch die Expertenkommission der KMK deshalb nicht einen Kanon von Inhalten, sondern grundlegende instrumentelle Kompetenzen wie die sprachliche Ausdrucksfähigkeit bei der schriftlichen Darstellung eines Gedankengangs, das verständige Lesen komplexer fremdsprachiger Sachtexte und der sichere Umgang mit mathematischen Symbolen und Modellen.

Profile, wie sie in Profiloberstufen gebildet werden, beschreiben einen guten und notwendigen Ansatz, um ein Lernen und Forschen in fächerübergreifenden Zusammenhängen zu ermöglichen. Dies ist jedoch auch ohne die Abschaffung der Leistungskurse möglich, wie es die bundesweit beachtete Profiloberstufe der Max-Brauer-Schule zeigt.

Mit der neuen Senatsbildung sollten die bisherigen Pläne gestoppt werden. Die Reform sollte verändert und auf das Schuljahr 2009/10 geschoben werden. In der dadurch gewonnenen Zeit sollten die im folgenden vorgeschlagenen Korrekturen berücksichtigt werden. Um diese Verzögerung zu ermöglichen, müssten die zeitlichen Übergangsfristen die APO-AH entsprechend angepasst werden.

 

Die Bürgerschaft möge beschließen:

Der Senat wird aufgefordert,

1. unter Wahrung des bisherigen Systems der Leistungs- und Grundkurse eine Profiloberstufe einzuführen, die einerseits einen fächerübergreifenden und projektorientierten Oberstufenunterricht ermöglicht und andererseits die individuelle Wahlmöglichkeit der Schülerinnen und Schüler erhält; dabei gilt es zu gewährleisten, dass auch zwei Leistungskurse in ein Profil eingehen können, wobei eines davon Profil gebend sein sollte, jedoch beide als Prüfungsfächer ausgewählt werden können;

2. die Einführung und Umsetzung moderner Lern- und Arbeitsstrukturen, z.B. die weitgehend individuelle Kurswahl, das selbständige Lernen und Forschen, Facharbeiten sowie Kompetenzkurse, wie 1998 eingeführt und in der Ausbildungs- und Prüfungsordnung zum Erwerb der allgemeinen Hochschulreife (APO-AH) 2003 bestätigt, weiter zu befördern;

 

3. eine Kultur der Beweglichkeit der Oberstufenschülerinnen und -schüler auch im Sinne des Schulwechsels zu unterstützen und Informations- und Kommunikationsformen zu entwickeln, mit Hilfe derer Jugendliche nach der Vorstufe ggf. zum Schulwechsel ermutigt werden, damit sie die Leistungskurse bzw. Kurskombinationen belegen können, die ihren Fähigkeiten und Interessen entsprechen. Dazu sollte das gesamte Kursangebot der gymnasialen Oberstufen für alle Interessierten rechtzeitig und übersichtlich im Internet öffentlich abrufbar sein.

4. wegen der Notwendigkeit entsprechend großer Oberstufen mit ausreichenden Wahlmöglichkeiten, die Zusammenlegung von Oberstufen zu Kooperationsmodellen einer integrierten Oberstufe, vergleichbar dem "Eimsbüttler Modell" (Gymnasium Kaiser-Friedrich-Ufer und Helene-Lange-Gymnasium) im Rahmen einer regionalen Schulentwicklung zu befördern;

5. die APO-AH im § 57 (Schlussbestimmungen) so zu ändern, dass die bisher vorgesehenen Änderungen sich um jeweils ein Jahr nach hinten verschieben,

und in der Zwischenzeit die gesamte APO-AH so zu ändern, dass sie den unter 1. bis 4. genannten Gesichtspunkten angepasst wird.