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Stärkung der parlamentarischen Minderheitsrechte in der 22. Wahlperiode der Hamburgischen Bürgerschaft – vorübergehende Absenkung verfassungsrechtlich verankerter Quoren

Mittwoch, 10.06.2020

Die Wählerinnen und Wähler entscheiden mit ihrer Stimme über die Zusammensetzung der Hamburgischen Bürgerschaft. Jede Abgeordnete und jeder Abgeordnete ist Vertreterin und Vertreter des ganzen Volkes. Jedem Mandat liegen die gleichen Rechte und Pflichten zu Grunde. Sowohl der Regierungsauftrag als auch der Auftrag zur Oppositionsarbeit folgen aus der Wahlentscheidung.

 

Die Wahl zur Bürgerschaft am 23. Februar 2020 hat die schon in der 21. Wahlperiode den Hamburger Senat getragen habende Koalition von SPD und GRÜNEN klar gestärkt. Während die SPD mit großem Abstand die meisten Wahlstimmen erhalten hat, konnten die GRÜNEN ihr vorheriges Wahlergebnis verdoppeln. Die beiden Parteien haben vereinbart, ihre Regierungsarbeit in einer Koalition fortzusetzen.

 

In Folge dessen haben sich die Stärkeverhältnisse von Koalition und Opposition in der Bürgerschaft im Vergleich zur vorangegangenen Wahlperiode weiter zu Ungunsten der Oppositionsfraktionen verschoben. In der 22. Wahlperiode vereinen die Fraktionen von SPD und GRÜNEN 87 von insgesamt 123 Bürgerschaftssitzen auf sich.

 

Der politische Wettstreit zwischen Koalition und Opposition ist wesentlicher Bestandteil einer lebhaften Demokratie. Die wichtige Aufgabe der Oppositionsarbeit ist in Artikel 24 der Hamburgischen Verfassung ausdrücklich benannt. Die Hamburgische Verfassung sowie die sich daraus ableitende Geschäftsordnung der Hamburgischen Bürgerschaft setzen den ausgleichenden Rahmen zwischen Rechten und Verantwortlichkeiten für eine funktionierende Parlamentsarbeit aller Abgeordneten und der Fraktionen, denen sie angehören.

 

Dabei sind auch einzeln ausgestaltete Minderheitsrechte von besonderer Bedeutung. Obwohl diese Minderheitsrechte dem Grunde nach von allen Abgeordneten unabhängig von ihrer Fraktionszugehörigkeit in Anspruch genommen werden können, sind sie in der parlamentarischen Praxis insbesondere wichtige Instrumente der Opposition und bieten ihr die Möglichkeit der effektiven parlamentarischen Kontrolle auch ohne Mehrheitsentscheidung.

 

Der Schutz der parlamentarischen Minderheit geht dabei nicht dahin, die Minderheit vor Sachentscheidungen der Mehrheit zu bewahren, wohl aber dahin, der Minderheit zu ermöglichen, ihren Standpunkt in den Willensbildungsprozess des Parlaments einzubringen.

 

Zu den mit einem Minderheitsquorum ausgestatteten Rechten gehört zum Beispiel das Recht, derzeit eines Viertels der Mitglieder der Bürgerschaft, die Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu beantragen. Obwohl dieses Quorum nach dem jetzigen Kräfteverhältnis in der Hamburgischen Bürgerschaft von allen Abgeordneten der Oppositionsfraktionen gemeinsam erreichbar ist, erscheint es angemessen, insbesondere zur Sicherstellung einer effektiven Oppositionsarbeit, dieses Quorum für die Dauer der 22. Wahlperiode auf ein Fünftel herabzusetzen, so dass die Wahrnehmung des Minderheitsrechts durch die Abgeordneten nicht zwingend davon abhängig ist, dass sich die Opposition in Gänze untereinander einvernehmlich verständigen muss. Um die Herabsetzung des erforderlichen Quorums für den Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses und die Beweiserhebung durch den Ausschuss von einem Viertel auf ein Fünftel für die Dauer der 22. Wahlperiode zu bewirken, werden die Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg und das Gesetz über die Untersuchungsausschüsse der Hamburgischen Bürgerschaft zeitlich befristet angepasst. Ebenfalls erfolgt eine Anpassung in Artikel 25 Absatz 2 der Verfassung, sodass zukünftig auf Verlangen eines Fünftels der anwesenden Abgeordneten auf die Senatsantwort einer Großen Anfrage eine Besprechung folgt.

 

Bei anderen wichtigen, in der Hamburgischen Verfassung vorgesehenen Minderheitsquoren wie beispielsweise dem Recht auf Aktenvorlage (Artikel 30 der Hamburgischen Verfassung) oder dem Recht auf Einsetzung einer Enquete-Kommission (Artikel 27 Absatz 1 der Hamburgischen Verfassung) ist bereits jetzt vorgesehen, dass ein Fünftel der Mitglieder der Bürgerschaft ausreichend ist. Diese Quoren sind auch in dieser Wahlperiode ausreichend, um insbesondere den Abgeordneten der Opposition in der Bürgerschaft eine effektive Arbeit im Sinne ihres Verfassungsauftrags zu ermöglichen.

 

 

 

 

 

Die Bürgerschaft möge vor diesem Hintergrund beschließen:

 

Erstes Gesetz

zur Stärkung der parlamentarischen Minderheitsrechte in der

22. Wahlperiode der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg

Vom …

Artikel 1

Zwanzigstes Gesetz

zur Änderung der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg

 

Die Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg vom 6. Juni 1952 (Sammlung des bereinigten hamburgischen Landesrechts I 100-a), zuletzt geändert am 20. Februar 2020 (HmbGVBI. S. 145), wird wie folgt geändert:

 

1. In Artikel 25 wird hinter Absatz 2 folgender Absatz 2a eingefügt:

„(2a) Abweichend von Absatz 2 Satz 3 folgt für die Dauer der 22. Wahlperiode der Bürgerschaft der Antwort auf Verlangen von einem Fünftel der anwesenden Abgeordneten eine Besprechung.“

2. In Artikel 26 wird hinter Absatz 1 folgender Absatz 1a eingefügt:

„(1a) Abweichend von Absatz 1 Satz 1 hat die Bürgerschaft für die Dauer der 22. Wahlperiode auf Antrag eines Fünftels der Abgeordneten die Pflicht, Untersuchungsausschüsse einzusetzen. Beantragte Beweise sind abweichend von Absatz 1 Satz 3 zu erheben, wenn es ein Fünftel der Ausschussmitglieder verlangt.“

 

Artikel 2

Änderung des Gesetzes über die Untersuchungsausschüsse

der Hamburgischen Bürgerschaft

 

Dem Gesetz über die Untersuchungsausschüsse der Hamburgischen Bürgerschaft vom 27. August 1997 (HmbGVBl. S. 427), zuletzt geändert am 15. September 2016 (HmbGVBl. S. 440), wird folgender § 35a angefügt:

 

㤠35a

Besondere Anwendung von Minderheitsrechten

für die Dauer der 22. Wahlperiode der Hamburgischen Bürgerschaft

 

Die in § 2 Absatz 2, § 4 Satz 1, § 10 Absatz 1 Satz 2, § 16 Absatz 2 Satz 2, § 17 Absatz 2 Satz 1 und § 25 Absatz 3 einer Minderheit von einem Viertel der jeweiligen Mitglieder zustehenden Rechte stehen hiervon abweichend für die Dauer der 22. Wahlperiode der Bürgerschaft einem Fünftel der jeweiligen Mitglieder zu.“

 

 

Artikel 3

Außerkrafttreten

 

(1) Artikel 1 und 2 treten mit dem Ende der 22. Wahlperiode der Bürgerschaft außer Kraft.

 

(2) Der Tag des Außerkrafttretens nach Absatz 1 ist im Hamburgischen Gesetz- und Verordnungsblatt bekannt zu machen.

 

sowie
  • der Abgeordneten Dr. Anjes Tjarks
  • Mareike Engels
  • Farid Müller
  • René Gögge
  • Sina Imhof
  • Jenny Jasberg
  • Lena Zagst (GRÜNE) und Fraktion und der Abgeordneten Dennis Thering
  • Dr. Anke Frieling
  • Richard Seelmaecker
  • Dennis Gladiator
  • Thilo Kleibauer (CDU) und Fraktion und der Abgeordneten Sabine Boeddinghaus
  • Cansu Özdemir
  • Deniz Celik
  • Heike Sudmann
  • Dr. Carola Ensslen (DIE LINKE) und Fraktion