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Unsere Ziele – Bessere Bildung durch bessere Schulreformen

Mittwoch, 07.10.2009

 

zu Drs. 19/4150 (Bericht des Schulausschusses über die Drs. 19/3195 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Hamburgischen Schulgesetzes)

 

Bildung entscheidet über die Zukunft unserer Kinder und unserer Gesellschaft. In keinem anderen Industrieland entscheidet die soziale Herkunft so sehr über den Schulerfolg wie in Deutschland. Das gilt leider auch in Hamburg. Mehr als ein Viertel der Schüler scheitert in der Schule. Auch die Leistungsspitze ist nach interna¬tionalen Maßstäben nicht gut genug und nach wie vor verlassen viel zu wenige junge Menschen unsere Schulen mit einer Hochschulzugangsberechtigung.

Dafür sind in der Bildungsforschung mehrere Gründe ausschlaggebend: Mangelnde Förderung im vorschulischen Alter (betrifft überproportional Kinder mit Migrationshintergrund), ein hierarchisch gegliederte Schulsystem, das mit seinen Auslesezwängen als institutionalisierter sozialer Diskriminierungsmechanismus wirkt und die fehlende individuelle Förderung an den Schulen.

Wir wollen deshalb mehr Chancengleichheit und bessere Bildung im Hamburger Schulsystem durchsetzen. Dazu sind drei entscheidende Reformen notwendig:

1. Hamburgs zersplitterte Schullandschaft muss Schritt für Schritt zu einer Schule für Alle zusammengeführt werden. Die Stadtteilschule ist auf diesem Weg ein erster Schritt.

2. Das Lernen muss an allen Schulen durch individualisierten Unterricht, individuali¬sierte Fördermaßnahmen und kleinere Klassen verbessert werden.

3. In einem Programm für Chancengleichheit müssen die bislang zufällig und verein¬zelt angewendeten Fördermaßnahmen gebündelt und gezielt zur Förderung der Risikoschüler eingesetzt werden.

Der Senat beabsichtigt die Verlängerung der gemeinsamen Grundschulzeit um zwei Jahre („Primarschule“). Dieser Vorschlag ist zwar grundsätzlich ein Schritt in Richtung längeres gemeinsames Lernen, doch: Gut gemeint ist noch nicht gut gemacht.

Die Primarschulpläne bergen die Gefahr, dass die Entscheidung über den weiteren Bildungsweg von Kindern früher fällt, als dies jetzt der Fall ist und binden Ressourcen, die für Qualitätsverbesserungen fehlen werden.

Für die Sekundarstufen I und II plant der Senat die Etablierung eines zweigliedrigen Schulsystems aus Stadtteilschulen und Gymnasien. Die vom Senat zu seiner Gesetzesvorlage formulierten verschiedenen Bildungsziele und pädagogischen Profile der Schulformen bergen die Gefahr einer langfristigen Zementierung zweier Schulformen, die nicht gleichwertig sind.

Zu oft haben schlecht durchdachte, geplante und finanzierte Schulreformen das Lernen belastet und das Vertrauen in das staatli¬che Schulsystem untergraben. Schule ist ein komplexes System, das nicht nach je¬der Wahl hektisch umgekrempelt werden kann. Deshalb ist eine andere Qualität von Schulreformen notwendig. Reformen können nur gelingen, wenn sie – wie beispiels¬weise in den skandinavischen Ländern – Verlässlichkeit, eine breite Akzeptanz und eine sorgfältige und vorausschauende Planung aller organisatorischen, technischen und finanziellen Auswirkungen sicherstellen. Gute schulische Bildung setzt dabei auf ein leistungsfähiges staatliches Schulsystem ohne Gebühren und Kosten.

Unterricht und Förderkultur

Der Schulgesetzentwurf beschreibt eine Reihe von Maßnahmen zur Verbesserung von Unterricht und Förderkultur, die in die richtige Richtung weisen. Das sind:

• die Abschaffung des Sitzenbleibens und neue Fördermaßnahmen (§45)

• Ansätze zur Individualisierung von Unterricht und Fördermaßnahmen

• das Recht auf inklusive Beschulung für Kinder mit Förderbedarf (§12)

• die Einführung der Berufsoberschule (§22a)

• die Einführung von Bildungskonferenzen (§86)

Wir sehen jedoch weiteren Handlungsbedarf, weil insbesondere die Rahmenbedin¬gungen für diese Reformansätze nur unzureichend beschrieben werden. So müssen Art und Umfang der anstelle des Sitzenbleibens geplanten Fördermaßnahmen ge¬nauer festgelegt werden. Das gilt auch für die Fördermaßnahmen im Rahmen der inklusiven Beschulung. Die Bildungskonferenzen müssen um weitere Teilnehmer erweitert werden, um die dringend gebotene Zusammenarbeit im Bildungsbereich erfolgreich zu organisieren.

Schulstruktur

Die Enquete-Kommission hat mit der Stadtteilschule einen Weg gewiesen, um Hamburgs Schulstruktur erfolgreich zu verändern. Sie bewahrt den Schulfrieden, bringt Bewegung in die seit Jahren festgefah¬rene Schulstrukturdebatte und eröffnet neue Perspektiven für eine weitergehende Zusammenführung der Schulstruktur. Die Stadtteilschule ist deshalb nicht die schlechtere von zwei Säulen, sondern der Beginn einer neuen Schule, die Schritt für Schritt zu einer Schule für alle Schülerinnen und Schüler ausgebaut werden kann und muss. In diesem Prozess des Zusammenwachsens muss auch das Gymnasium durch den Ausbau vielfältiger Kooperationen mit der Stadtteilschule eingebunden werden. Dazu muss die Stadtteilschule nach dem Vorbild erfolgreicher Gesamtschulen ein attraktives Profil bekommen und zur Langform¬schule werden, die Grundschule und weiterführende Schule vereint.

Daneben eröffnet die Stadtteilschule Risi¬koschülern neue Chancen und tritt dem Problem der sterbenden Haupt- und Real¬schulen aktiv entgegen.

Die regionalen Bildungskonferenzen müssen dazu genutzt werden, in den nächsten Jahren den Prozess der Überwindung der Mehrgliedrigkeit unter Einbeziehung aller Schulformen des Schulsystems weiter zu betreiben, dies bei Mitwirkung aller betroffener Akteure, insbesondere der Eltern.

Die jetzt geplanten Änderungen der Schulstruktur sind in ihren organisatorischen, technischen und finanziellen Auswirkungen weder durchdacht noch geplant und wer¬den die zersplitterte Hamburger Schullandschaft nur schwer überwinden können.

Die Primarschule bietet durch die Möglichkeit des längeren gemeinsamen Lernens Chancen, die wir anerkennen. Ihre Einführung beinhaltet aber zahlreiche organisato¬rische und inhaltliche Risiken. Nach Abwägung der Chancen und Risiken hat keine Partei vor der letzten Bürgerschaftswahl die Einführung der Primarschule gefordert. Seitdem gibt es keine neuen Erkenntnisse, die zu einer Neubewertung Anlass geben.

Bis heute ist es nicht gelungen, zentrale organisatorische Probleme der vorgeschla¬genen neuen Schulstruktur plausibel zu lösen:

• Aufgrund unterschiedlicher Profile und aufgrund von Kooperationen mit Gymnasien werden sich Primarschulen unterschiedlich entwickeln. So wächst die Gefahr, dass mit der Wahl der Primarschule Kinder schon zu Beginn der Schulzeit nach sozialem Status und Leistung getrennt werden. Die Primarschule birgt daher die Gefahr einer sozialen und leistungsmäßigen Auslese schon mit Eintritt in die Vorschule bzw. in die erste Klasse.

• Das Elternwahlrecht wird abgeschafft. Das nimmt Eltern und Kindern eine zentrale Entscheidung über den Bildungsweg. Während andere Bundesländer Mitwirkungsrechte ausbauen, geht Hamburg den umgekehrten Weg. Diese Politik der Besserwisserei und Bevormundung gefährdet Engagement und Beteiligung von Eltern und Kindern, untergräbt die Akzeptanz des staatlichen Schulsystems und schmälert die Erfolgsaussichten schulischer Reformen auf Dauer.

• Die Stadtteilschule wird erheblich belastet. Es fehlt ein klares Profil, die Langformschulen werden zerschlagen und die Klassen 5 und 6 ausgegliedert. Chancen zur Zusammenführung der Schulformen und zur Entwicklung übergreifender pädagogischer Konzepte werden vertan. So werden unattraktive Schulen für Schülerinnen und Schüler mit geringen Chancen entstehen. Dadurch wird die Chancengleichheit im Schulsystem nicht erhöht, sondern verringert.

• Die erheblichen Kosten der Strukturreform sind nicht einmal geschätzt, die Finanzierung ist nirgends sichergestellt. So weist die vage Prognose der Baukosten erhebliche Fehler auf, die Personalkosten sowie die Kosten weiterer Veränderungen bleiben völlig unklar. Mit dieser unseriösen Planung ist der Reform jede Grundlage entzogen. Vor allem wird der Umbau in ein letztlich kontraproduktives Übergangssystem wie die Primarschule die Ressourcen in Anspruch nehmen, die dringend für die Weiterentwicklung des Unterrichts gebraucht werden.

• Die Schulstandortplanung weist viele ungelöste Probleme auf.

o Kooperationen von Primarschulen und Gymnasien machen die Wahl der Primarschule zur Vorentscheidung über den weiteren Bildungsweg und begünstigen die Trennung der Schüler ab der ersten Klasse.

o Es ist unklar, wie die aus 130 Grundschulen fusionierten 64 Primarschulen ohne Belastung von Unterricht und Schulorganisation, ohne „Wanderlehrer“, „Wanderklassen“ und zusätzlichen Schulwechsel organisiert werden können.

o Die Abschaffung des Elternwahlrechts gefährdet die Gymnasien in den sozial benachteiligten Stadtteilen.

• Schule wird nicht als kostenlose, staatliche Aufgabe definiert. Die Ausgliederung der beruflichen Schulen sowie die ungleichen Mitbestimmungsrechte am HIBB bleiben genauso bestehen wie das Büchergeld. Die enormen Baukosten sollen zudem durch eine Reform des Schulbaus bewältigt werden, die ÖPP- und PPP-Modelle ermöglicht.

 

Die Bürgerschaft möge daher beschließen:

Der Senat wird aufgefordert:

1. Den Gesetzentwurf unter folgenden Maßgaben grundlegend zu überarbeiten:

- Keine Einführung der Primarschule

- Organisatorische und räumliche Trennung von Grundschulen und Gymnasien

- Überarbeitung der Profile von Gymnasien und Stadtteilschulen, so dass sie gleichwertige und akzeptierte Schulformen sein können

- Möglichkeiten zur Zusammenarbeit von Gymnasien und Stadtteilschulen eröffnen und die Gymnasien in den Prozess der Schulentwicklung mit einbeziehen

- Beibehaltung des Elternwahlrechts

- Abschaffung sämtlicher Gebühren an Hamburgs öffentlichen Schulen

- Mitbestimmungsrechte der Gewerkschaften im HIBB (Hamburger Institut für Berufliche Bildung) und den Schulvorständen entsprechend der Regelungen für die Vertreterinnen und Vertreter der Arbeitgeber

- Einführung profilierter Stadtteilschulen als Langformschulen und Ganztagsschulen unter einer Schulleitung an denen alle Schulabschlüsse bis zum Abitur (nach 13 Jahren) erreicht werden können

- Begleitung der Abschaffung des Sitzenbleibens durch verbindliche Förderung von Schülerinnen und Schülern

und der Bürgerschaft zur Sitzung der Bürgerschaft am 04.11.2009 vorzulegen.

2. Die regionalen Bildungskonferenzen müssen dazu genutzt werden, in den nächsten Jahren den Prozess der Überwindung der Mehrgliedrigkeit unter Einbeziehung aller Schulformen des Schulsystems weiter zu betreiben – dies bei Mitwirkung aller betroffener Akteure, insbesondere der Eltern – und ein Konzept mit konkreten Schritten zur Einrichtung einer Schule für Alle zu entwickeln.

3. Parallel die Bürgerschaft über die Kosten dieser Schulreformen und deren Finanzierung detailliert zu informieren.