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Volksentscheide endlich verbindlich machen

Freitag, 27.06.2008

Die Volksinitiative „Für faire und verbindliche Volksentscheide – Mehr Demokratie“ ist erfolgreich gewesen (Drs. 18/8068, 19/36). Am 20. Februar 2008 haben die Initiatoren 15.828 Unterstützungsunterschriften eingereicht. Am 19. März 2008 hat der Senat das Zustandekommen der Volksinitiative mit der Drucksache 19/36 festgestellt. Nun ist die Bürgerschaft am Zuge zu entscheiden, ob sie der Volksinitiative folgt oder nicht. Drei der vier in der 19. Wahlperiode in der Bürgerschaft vertretenen Parteien waren Teil des breiten Bündnisses für verbindliche Volksentscheide. Insofern gibt es schon jetzt jedenfalls eine absolute Mehrheit in der Bürgerschaft für das Anliegen der Volksinitiative. Der nachfolgende Antrag, der den Inhalt der Volksinitiative wiedergibt, soll die Basis bilden, hier endlich auch zu einer verfassungsändernden Mehrheit zu kommen – damit das überwältigende Votum von 365.133 Hamburgerinnen und Hamburger für mehr Demokratie eingelöst wird.

Die Bürgerschaft sollte den Versuch machen, den bewährten Verfassungskonsens in Fragen direkter Demokratie wieder herzustellen. Schon 2001 war es Ergebnis eines knapp gescheiterten Volksentscheids, dass die Bürgerschaft auf die Bürger zugegangen ist – in einem breiten Konsens aller Demokraten. Das könnte Vorbild sein.

 

Die Bürgerschaft möge beschließen:

 

„Gesetz zur Änderung des Artikels 50 (Volksgesetzgebung)

der Hamburgischen Verfassung vom 6. Juni 1952 (HmBL I 100-a),

zuletzt geändert am 16. Mai 2001 (HmbGVBl. S. 105 ff)“

 

Artikel 50 erhält folgende Fassung:

(Änderungen gegenüber der geltenden Fassung sind durch Fettdruck kenntlich gemacht. Gestrichene Passagen sind durch ... angedeutet)

 

„(1) Das Volk kann ... den Erlass, die Änderung oder die Aufhebung eines Gesetzes oder eine Befassung mit bestimmten Gegenständen der politischen Willensbildung beantragen. Bundesratsinitiativen, Haushaltspläne, Abgaben, Tarife der öffentlichen Unternehmen sowie Dienst- und Versorgungsbezüge können nicht Gegenstand einer Volksinitiative sein. Die Volksinitiative ist zustande gekommen, wenn mindestens 10 000 zur Bürgerschaft Wahlberechtigte den Gesetzentwurf oder die andere Vorlage unterstützen.

 

(2) Die Bürgerschaft befasst sich mit dem Anliegen der Volksinitiative. Die Volksinitiatoren erhalten Gelegenheit, das Anliegen in einem Ausschuss zu erläutern. Sofern die Bürgerschaft nicht innerhalb von vier Monaten nach Einreichung der Unterschriften ... das von der Volksinitiative beantragte Gesetz verabschiedet oder einen ... Beschluss gefasst hat, der der anderen Vorlage vollständig entspricht, können die Volksinitiatoren die Durchführung eines Volksbegehrens beantragen .... Sie können den Gesetzentwurf oder die andere Vorlage hierzu in überarbeiteter Form einreichen. Der Senat führt das Volksbegehren durch. Die Volksinitiatoren sind berechtigt Unterschriften auf eigenen Listen zu sammeln. Das Volksbegehren ist zustande gekommen, wenn es von mindestens einem Zwanzigstel der Wahlberechtigten unterstützt wird.

 

(3) Die Bürgerschaft befasst sich mit dem Anliegen des Volksbegehrens. Die Volksinitiatoren erhalten Gelegenheit, das Anliegen in einem Ausschuss zu erläutern. Sofern die Bürgerschaft nicht innerhalb von drei Monaten... das vom Volksbegehren eingebrachte Gesetz verabschiedet oder einen Beschluss gefasst hat, der der anderen Vorlage vollständig entspricht, können die Volksinitiatoren die Durchführung eines Volksentscheides beantragen. Sie können den Gesetzentwurf oder die andere Vorlage hierzu in überarbeiteter Form einreichen. Der Senat legt den Gesetzentwurf oder die andere Vorlage dem Volk zur Entscheidung vor. Die Bürgerschaft kann einen eigenen Gesetzentwurf oder eine eigene andere Vorlage beifügen. Der Volksentscheid findet am Tag der Wahl zur Bürgerschaft oder zum Deutschen Bundestag statt. Auf Antrag der Volksinitiative kann der Volksentscheid über einfache Gesetze und andere Vorlagen auch an einem anderen Tag stattfinden. Dasselbe gilt, wenn die Bürgerschaft dies im Falle eines Volksentscheides nach Absatz 4 beantragt. Ein Gesetzentwurf oder eine andere Vorlage ist angenommen, wenn die Mehrheit der gültig Abstimmenden zustimmt. Verfassungsänderungen bedürfen der Mehrheit von zwei Dritteln der gültig Abstimmenden. Findet ein Volksentscheid nicht am Tage einer Wahl zur Bürgerschaft oder zum Bundestag statt, so ist er nur angenommen, wenn die Mehrheit der gültig Abstimmenden und mindestens ein Fünftel der Wahlberechtigten zugestimmt haben.

 

(4) ... Ein von der Bürgerschaft beschlossenes Gesetz, durch das ein vom Volk beschlossenes Gesetz aufgehoben oder geändert wird (Änderungsgesetz), tritt nicht vor Ablauf von drei Monaten nach seiner Verkündung in Kraft. Innerhalb dieser Frist können zweieinhalb vom Hundert der Wahlberechtigten einen Volksentscheid über das Änderungsgesetz verlangen. In diesem Fall tritt das Änderungsgesetz nicht vor Durchführung des Volksentscheids in Kraft. Das Volk entscheidet über das Änderungsgesetz. Abs. 3 Satz 5, 7 und 9 bis 12 sind sinngemäß anzuwenden.

 

(4a) ... Ein Volksentscheid über eine andere Vorlage bindet Bürgerschaft und Senat. Die Bindung kann durch einen Beschluss der Bürgerschaft beseitigt werden. Der Beschluss ist im Hamburgischen Gesetz- und Verordnungsblatt zu verkünden. Er wird nicht vor Ablauf von drei Monaten nach seiner Verkündung wirksam. ... Abs. 4 Satz 2 bis 4 sind sinngemäß anzuwenden.

 

(5) Während eines Zeitraumes von drei Monaten vor dem Tag einer allgemeinen Wahl in Hamburg finden keine Volksbegehren und Volksentscheide statt.

 

(6) Das Hamburgische Verfassungsgericht entscheidet auf Antrag des Senats, der Bürgerschaft, eines Fünftels der Abgeordneten der Bürgerschaft oder der Volksinitiatoren über die Durchführung von Volksbegehren und Volksentscheid. Volksbegehren und Volksentscheid ruhen während des Verfahrens.

 

(7) Das Gesetz bestimmt das Nähere. Es kann auch Zeiträume bestimmen, in denen die Fristen nach Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 3 wegen sitzungsfreier Zeiten der Bürgerschaft oder eines von der Bürgerschaft auf Vorschlag der Volksinitiatoren gefassten Beschlusses nicht laufen.“

 

Begründung

I.

Entscheidungen des Volkes müssen verbindlich sein. Das ist Bedingung für Demokratie. Das gilt nicht nur für Wahlentscheidungen, sondern auch für Volksentscheide. Natürlich müssen auch vom Volk direkt entschiedene Beschlüsse und Gesetze aufgehoben und verändert werden können, wenn sich die Sach- und Rechtslage oder die politischen Einschätzungen und Mehrheitsverhältnisse geändert haben. Aber es verstößt gegen die guten politischen Sitten und zeugt von mangelnder demokratischer Kultur, wenn das Volk eine Sache entschieden hat, aber Regierung und Parlamentsmehrheit diese Entscheidung missachten. Der Hamburger Senat und die Bürgerschaftsmehrheit haben gegen diese demokratischen Grundsätze verstoßen. Deshalb sollen per Volksentscheid die demokratischen Rechte des Volkes in der Hamburger Verfassung auf Dauer gesichert, eindeutiger beschrieben und gestärkt werden.

Die politische Achtung von Volksentscheiden hängt nicht nur von ihren gesetzlichen Bindungswirkungen ab. Die Volksgesetzgebung muss auch von den politisch Verantwortlichen wirklich gewollt sein und darf nicht nur wirkungsloses demokratisches Zierblatt sein. Vor diesem Hintergrund sollen in der Hamburgischen Verfassung vor allem Folgendes geändert und neu aufgenommen werden:

- Entscheidungen des Volkes über Sachfragen, die nicht als Gesetze formuliert wurden, sollen genauso verbindlich sein wie vom Volk beschlossene Gesetze.

- Wenn Entscheidungen des Volkes von der Bürgerschaft aufgehoben oder verändert werden sollen, kann das Volk in einem vereinfachten Verfahren darüber entscheiden, ob es damit einverstanden ist.

- Volksentscheide sollen grundsätzlich nur am Tag einer Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft oder zum Bundestag stattfinden. Damit steht dann fest: Der Volksentscheid ist in gleicher Weise vom Volkswillen getragen wie die gleichzeitig gewählten Abgeordneten. Seine Legitimation - auch zur Änderung der Verfassung - entspricht der des Parlaments. Unabhängig von der Wahlbeteiligung sind die vom Volk gewählten Abgeordneten der Hamburgischen Bürgerschaft berechtigt, mit Zweidrittel-Mehrheit die Verfassung zu ändern. Das muss erst recht für das Volk gelten, das die Abgeordneten bevollmächtigt hat. Die Teilnahme an der Abstimmung wird durch den zeitgleichen Urnengang günstig beeinflusst, umgekehrt wird auch die Wahlbeteiligung durch die gleichzeitig stattfindende Abstimmung erhöht. Das stärkt die Demokratie. Wegen der Tragweite von Verfassungsänderungen müssen die Volksentscheide zwingend zusammen mit einer Bürgerschafts- oder Bundestagswahl stattfinden.

- Bei Volksentscheiden über einfache Gesetze und Sachfragen (andere Vorlagen) soll es den Initiatoren freistehen, die Abstimmung an einem anderen Tag durchführen zu lassen. Dieses Recht erhält auch die Bürgerschaft, wenn ein Volksentscheid über die Änderung eines volksbeschlossenen Gesetzes oder einer entsprechenden Sachentscheidung ansteht. Dafür kann es gute praktische Gründe geben. Dann müssen aber - wie bisher - neben der Mehrheit der Abstimmenden mindestens zwanzig vom Hundert der Wahlberechtigten zustimmen.

- Entscheidungen des Volkes sollen nicht deswegen unzulässig sein, weil sie finanzielle Auswirkungen haben. Andernfalls wäre kaum ein Volksentscheid zulässig.

 

II. Zu den Änderungen im Einzelnen:

 

Zu Abs. 1:

Die bestehende Zuständigkeitsregelung wird ersatzlos gestrichen, da die Landesverfassung ohnehin keine über die Zuständigkeit der Freien und Hansestadt Hamburg hinausgehenden Kompetenzen verleihen kann. Die Aufnahme von Bundesratsinitiativen in den Ausschlusskatalog soll hier Rechtsklarheit schaffen. Mit dem Begriff „Haushaltspläne“ statt „Haushaltsangelegenheiten“ wird hinreichend klargestellt, dass nur direkte Eingriffe in den Haushaltsplan ausgenommen und finanzwirksame Vorlagen grundsätzlich zulässig sind.

 

Zu Abs. 2:

Durch die ersten beiden Sätze soll der Dialog zwischen Bürgerschaft und Volksinitiatoren gefördert und die Suche nach gemeinsamen Lösungen für das Anliegen der Initiatoren erleichtert werden. Will die Bürgerschaft das Anliegen der Initiatoren übernehmen (Satz 3), dann darf ihr Beschluss nur redaktionell von der Vorlage der Initiatoren abweichen. Andernfalls haben sie Anspruch auf Durchführung des Volksbegehrens. Dass die Volksinitiatoren den Gesetzentwurf oder die andere Vorlage zurücknehmen können, entfällt wie in Abs.3, Satz 1. Diese Dispositionsmöglichkeit ist ihnen bereits dadurch eingeräumt, dass sie den Volksbegehren bzw. das Volksentscheid beantragen „können“. Die Möglichkeit Vorlagen zu überarbeiten (Satz 4), erhält Verfassungsrang. Damit sind nicht nur redaktionelle Änderungen zulässig, Widersprüche und Unklarheiten können ausgeräumt werden. Zudem sollen die Initiatoren auch auf veränderte Sach- und Rechtslagen, die sich im Laufe des Verfahrens ergeben, reagieren können, um Inhalt und Ziel des Anliegens zu sichern. Satz 5 und 6 garantieren die geltende Praxis.

 

Zu Abs. 3:

Die Änderungen in den Sätzen 1 und 2 entsprechen den Änderungen in Absatz 2 Satz 1 und 2. Durch Satz 4 wird festgeschrieben, dass Vorlagen auch vor einem Volksentscheid überarbeitet werden können. Dass die Volksinitiatoren den Gesetzentwurf oder die andere Vorlage zurücknehmen können, entfällt aus den gleichen Gründen wie in Absatz 2.

Die grundsätzliche Bindung von Volksentscheiden an Wahltage soll der Volksgesetzgebung eine demokratische Legitimation verschaffen, die der der Parlamente nicht nachsteht. Außerdem soll sie eine hohe Beteiligung sichern und die Abstimmungen anwendungsfreundlicher machen. Für einen verfassungsändernden Volksentscheid gelten die gleichen qualifizierten Mehrheiten, mit denen das Parlament eine Verfassungsänderung beschließen kann. Ebenso wie in den Parlamenten ist dafür bei Volksentscheiden eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Findet eine Volksabstimmung über einfache Gesetze oder andere Vorlagen (Sachfragen) auf Antrag der Initiatoren nicht gleichzeitig mit der Wahl zur Bürgerschaft oder zum Deutschen Bundestag statt, soll es bei der bisher geltenden Mindestzustimmung von einem Fünftel der Wahlberechtigten bleiben.

 

Zu Abs. 4:

Dieser Abs. wird auch in seiner Zielrichtung völlig neu gefasst. Er dient besonders der „zeitlichen“ Bindungswirkung von volksbeschlossenen Gesetzen, indem er ihre Aufhebung durch die Bürgerschaft unter Vorbehalt eines erneuten Volksentscheides stellt, sofern dieser aus der Mitte des Volkes gefordert wird. Im Volk soll das Vertrauen in die nachhaltige Wirkung seiner Entscheidungen befördert und dem weit verbreiteten „Die da oben machen doch was sie wollen“ entgegengewirkt werden. Des weiteren soll damit auch das Bewusstsein für „Volksvertretung“ im besten Sinne des Wortes im Volk und bei seinen Vertretern gestärkt und mehr gegenseitiges Vertrauen geschaffen werden. Ziel ist die Ausbildung einer politischen Kultur, die Abs. 4 und auch 4a überflüssig macht.

 

Zu Abs. 4a:

Mit dieser Vorschrift wird erreicht, dass volksbeschlossene andere Vorlagen keine geringere Bindungswirkung entfalten als ein vom Volk beschlossenes Gesetz. Unmittelbarer Anlass ist die aktuelle Missachtung solcher Volksentscheide durch den Senat und die Bürgerschaftsmehrheit. Ohne die hier festgeschriebene Bindungswirkung sind Volksentscheide über Gegenstände der politischen Willensbildung nicht sinnvoll und faktisch nur eine Volkspetition gemäß Art. 25 c dieser Verfassung. Überdies wären Volksinitiatoren gezwungen, auch Gegenstände der politischen Willensbildung in Gesetzesform zu bringen, die dort vernünftiger Weise nicht hineingehören.