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Weiterentwicklung der Versorgung psychisch erkrankter Menschen in Hamburg – Hamburger Psychiatrieplan erarbeiten

Mittwoch, 30.08.2023

Die Hilfe und Unterstützung psychisch kranker Menschen in Hamburg ist ein wichtiges Ziel der Hamburger Gesundheitspolitik. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund der Tatsache, dass psychische Erkrankungen die inzwischen häufigste Ursache für längerfristige Krankheitsausfälle während der Erwerbsphase sind und die Belastungen für die psychische Gesundheit für junge und ältere Menschen in der Pandemie besonders hoch waren. Demzufolge müssen Bemühungen im Rahmen der sekundären und tertiären Prävention psychischer Erkrankungen und deren Chronifizierung auch in der gesundheitlichen Versorgung einen breiteren Raum einnehmen.

Aus dem zuletzt im Jahr 2020 veröffentlichten Hamburger Gesundheitsbericht geht hervor, dass ambulant gestellte Diagnosen in der Gruppe der psychischen Erkrankungen mittlerweile zu den drei häufigsten Diagnosen insgesamt gehören. Auch bei Kindern werden psychische Erkrankungen schon vergleichsweise häufig diagnostiziert. Zur ambulanten psychotherapeutischen Versorgung sind in der Freien und Hansestadt Hamburg (FHH) derzeit knapp 1.000 Sitze durch die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg zugelassen. Nominell besteht damit für die FHH mit ca. 165 Prozent zwar eine Überversorgung, dennoch bestehen teilweise lange Wartezeiten. Bundesweit liegt diese, nach Auswertungen der Bundespsychotherapeutenkammer, im Schnitt bei ca. 5 Monaten, was zu einer weiteren Verschlechterung und Chronifizierung beitragen kann. Im Koalitionsvertrag auf Bundesebene haben sich die Koalitionspartner darauf verständigt „die psychotherapeutische Bedarfsplanung [zu reformieren], um Wartezeiten auf einen Behandlungsplatz, insbesondere für Kinder und Jugendliche, aber auch in ländlichen und strukturschwachen Gebieten deutlich zu reduzieren.“ Dieses Vorhaben muss schnell umgesetzt werden, damit sich durch mehr Kassensitze auch die ambulante Versorgung in Hamburg verbessern kann. Zusätzlich zu den Wartezeiten sind viele Praxen nicht auf die Behandlung schwer psychisch erkrankter Menschen ausgerichtet.

Auch im klinisch-stationären Bereich sind steigende Bedarfe zu verzeichnen. Jährlich werden insgesamt zwischen 24.000 und 26.000 Fällen in den allgemeinpsychiatrischen Fachabteilungen der Hamburger Krankenhäuser und ca. 6.000 Fälle in den psychosomatischen und allgemeinpsychiatrischen Tageskliniken behandelt.

In unterschiedlichen Kontexten zur Versorgung kann beobachtet werden, dass schwer psychisch Erkrankte den Kontakt zum Versorgungsystem verlieren. Bei einem beträchtlichen Teil dieser Personen nimmt die Erkrankung einen forensischen Verlauf.

Gradmesser für die Qualität der Versorgung muss der Umgang mit schwer psychisch erkrankten Menschen mit komplexen Hilfebedarfen sein. Gelingt dieser, lassen sich daraus auch adäquate Angebote bei weniger schweren aber dennoch behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankungen ableiten.

Der SPD-geführte Senat der FHH hat seit 2011 und ab 2015 gemeinsam mit den Grünen immer wieder Initiativen zur Stärkung der psychischen Gesundheit vorangebracht. Zu nennen sind beispielsweise:

- Verbindliche Verankerung des Schutzes vor psychischen Belastungen im Arbeitsschutz

- Die Einrichtung der Beratungsstelle Arbeit und Gesundheit

- Die Vorlage des ersten Hamburger Psychiatrieberichts im Jahr 2019 als umfassende Darstellung des Phänomenbereichs und des Hilfesystems in Hamburg

- Die Einrichtung eines Krisentelefons in den Randzeiten und am Wochenende

- Der Ausbau des Hamburger Therapieführers

- Das Modellvorhaben Hamburger Süden zur verbindlichen Zusammenarbeit nach gemeindepsychiatrischen Versorgungsprinzipien

- Das Projekt „Drei für Eins“ zur rechtskreisübergreifenden Versorgung von Kindern und Jugendlichen im Dreieck Schule, Jugendhilfe, Kinder- und Jugendpsychiatrie

An diese und weitere Vorleistungen gilt es nun anzuknüpfen und nach der Pandemie weitere Maßnahmen zu ergreifen, die zur Verbesserung der Versorgung psychisch kranker Hamburger:innen beitragen.

Hierzu soll nach dem Hamburger Psychiatriebericht nunmehr ein Hamburger Psychiatrieplan entwickelt werden, in dem die für die nächsten Jahre wegweisenden Entwicklungslinien für eine bedarfsgerechte und lebenslagenorientierte Versorgung psychisch erkrankter Menschen formuliert werden. Dies soll zu fünf Schwerpunktthemen erfolgen:

- Komorbidität psychiatrischer Diagnosen mit Substanzabhängigkeit

- Gemeindepsychiatrische Ansätze – regionale Verbünde

- Psychiatriekoordination in den stadtstaatlichen (Verwaltungs-)Strukturen der FHH

- Engere Verzahnung Allgemeinpsychiatrie/Forensische Psychiatrie

- Home-Treatment – Aufsuchende Behandlungsmodelle als Bestandteile der Regelversorgung

Die Versorgung psychisch erkrankter Menschen mit Migrationshintergrund (einschließlich Sprachmittlung) sowie die Versorgung schwersttraumatisierter Patient:innen im ambulanten und stationären Bereich finden bei der Ausgestaltung der Schwerpunktthemen Berücksichtigung.

Darüber hinaus sind auch gesetzliche Anpassungsbedarfe zu prüfen. Denn nur in Bayern und Hamburg sind derzeit weder eine Psychiatriekoordination noch Gemeindepsychiatrische Verbünde gesetzlich verankert.

 

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Die Bürgerschaft möge beschließen:

Der Senat wird ersucht,

 

1. weiterhin das Ziel zu verfolgen, Strukturen und Leistungen der Psychiatrie in Hamburg konsequent an den Bedürfnissen der betroffenen Personen, ihrer Angehörigen und Nächsten auszurichten und diese partizipativ und sozialraumorientiert so zu gestalten, dass die Anwendung von Zwang nach Möglichkeit ausgeschlossen wird;

2. den im Jahr 2019 vorgelegten Psychiatriebericht im Austausch mit wichtigen Akteuren des Hamburger Hilfesystems zu einem Hamburger Psychiatrieplan weiterzuentwickeln und in diesem Rahmen folgende Schwerpunkte zu verfolgen:

a. darauf hinzuwirken, dass die Früherkennung und Frühintervention bei psychischen Erkrankungen gestärkt wird, um Chronifizierung zu vermeiden,

b. darauf hinzuwirken, dass insbesondere Maßnahmen mit dem Ziel entwickelt werden, forensische Krankheitsverläufe zu vermeiden und die Fallzahlen der Forensischen Psychiatrie perspektivisch zu senken,

c. aufsuchende Angebote, zum Beispiel durch den sozialpsychiatrischen Dienst, in der psychiatrischen Versorgung zu befördern,

d. regionale Verbünde nach gemeindepsychiatrischen Prinzipien für eine verbindliche rechtskreisübergreifende Zusammenarbeit und Vernetzung zu befördern,

e. die Möglichkeiten zur Installation einer Psychiatriekoordination für Hamburg zu prüfen,

f. den Zugang für psychisch erkrankte Menschen in der Obdachlosigkeit zu Angeboten der psychiatrischen Versorgung zu stärken,

g. zu prüfen, ob und wenn ja, welche Anpassungen in der Hamburger Landesgesetzgebung zur strukturellen Verbesserung der Versorgung erforderlich sind,

3. der Bürgerschaft bis zum Ende des Jahres 2024 zu berichten.

 

sowie
  • Linus Görg
  • Miriam Block
  • Filiz Demirel
  • Mareike Engels
  • Michael Gwosdz
  • Dr. Adrian Hector
  • Britta Herrmann
  • Christa Möller-Metzger
  • Dr. Gudrun Schittek
  • Yusuf Uzundag
  • Peter Zamory (GRÜNE) und Fraktion