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zu Drs. 20/11704 Ladenöffnungszeiten: Sonntagsfrieden erhalten – Interessen aller Bezirke angemessen berücksichtigen

Montag, 19.05.2014

Das gemeinsame Verständnis von Kirchen, Gewerkschaften und Staat über den Charakter und die Bedeutung des Sonntags in unserer Stadt ist in Hamburg seit vielen Jahren durch den „Sonntagsfrieden“ geprägt. Es ist zugleich eine Werteentscheidung darüber, welcher Freiheitsbegriff für die Zeitstruktur in unserer Stadtgesellschaft prägend sein soll: Der neoliberale Freiheitsbegriff einer möglichst weitgehenden individualistischen Deregulierung oder eine christlich inspirierte, sozial-liberale Freiheit, die durch soziale Gerechtigkeit ermöglicht wird und die in Solidarität mündet.

Für die Kirchen ist der Sonntag auch zukünftig ein zentrales Element der Ordnung und Verfasstheit unserer Gesellschaft:

„Der Sonntag ist eine lebensnotwendige Atempause. Dieser freie Tag ist ein Segen, weil er den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Maschinen brauchen keine Erholungspausen; sie laufen rund um die Uhr und geben das Tempo vor. Der Sonntag begrenzt die Verzweckung unseres Lebens. Er orientiert sich an Gottes Gebot, das unsere Freiheit bewahren will. Denn die Wirtschaft ist um des Menschen willen da und nicht umgekehrt. Weil unsere Verfassung dem Sonn- und Feiertagsschutz eine zentrale Bedeutung beimisst, steht im Grundgesetz: "Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt." Die Zielrichtung dieser Verfassungsnorm ist klar. Das Gebot der Arbeitsruhe zielt auf das gesamte öffentliche Leben. Es geht nicht nur um die freie Zeit für den Gottesdienstbesuch – so wichtig die Begegnung mit Gott, die Orientierung für das eigene Leben und das Erfahren von Gemeinschaft im Gottesdienst sind. Es geht zugleich um die gemeinsame Unterbrechung der Arbeit und des Arbeitszwangs für möglichst viele Menschen.“ (Bischof Wolfgang Huber in DIE WELT, 7. 12. 2007)

Für die Gewerkschaften ist der Erhalt des freien Sonntags ein zentrales Element der Humanität unserer Gesellschaft:

„Es geht darum, den kulturellen Rhythmus zwischen Arbeit und Ruhe um der Menschen willen zu erhalten und den Menschen eindeutig in den Mittelpunkt allen Wirtschaftens zu stellen. Die Respektierung des Sonntags spiegelt die Wertordnung einer Gesellschaft sowie jener Akteure, die sie maßgeblich gestalten können. Wir alle stehen in der Verantwortung, uns für den Erhalt des Sonntags zum Wohle einer humanen Gesellschaft einzusetzen. ... Der Sonntag verkörpert traditionell die Freiheit des Menschen von einer rein ökonomisch orientierten Lebensweise. An diesem Tag steht einmal nicht im Vordergrund, was ein Mensch leistet. Vielmehr geht es um das, was jeder zu einem Leben für sich und in der Gemeinschaft mit anderen benötigt. Die Sonn- und Feiertage sind ein zentrales Moment in der Zeitorganisation von Staat und Gesellschaft und schaffen einen verbindlichen Ordnungsrahmen für den kollektiven Zeitrhythmus in allen Lebensbereichen.“ (Beschluss des ver.di-Bundeskongresses 2007).

Für die Politik hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil vom Dezember 2009 wichtige Grundsätze festgestellt:

Das Bundesverfassungsgericht hat neben der religiösen Funktion explizit die gesellschaftliche und soziale Bedeutung des Sonntags und der damit verbundenen Taktung des sozialen Lebens herausgearbeitet.
Dem Sonntag und den religiös christlich ausgerichteten Feiertagen komme auch die Aufgabe zu, „Schutz vor einer weitgehenden Ökonomisierung des Menschen zu bieten“. Es hat auch festgestellt, dass das Einkaufen selbst keine Arbeit für den Sonntag darstelle und dieses auch nicht der seelischen Erhebung diene. Hier hat es auch einen Unterschied im Vergleich zur Gastronomie und zum Gesundheitswesen verdeutlicht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist ein öffentliches Interesse an der Sonntagsöffnung solchen Gewichts zu verlangen, das die Ausnahmen von der Arbeitsruhe rechtfertigt. Dazu genügen das alleinige Umsatz- und Erwerbsinteresse auf Seiten der Verkaufsstelleninhaber sowie das alltägliche Shopping-Interesse auf der Kundenseite nicht.

Das Bundesverfassungsgericht stellt dazu fest: „Die soziale Bedeutung des Sonn- und Feiertagsschutzes und mithin der generellen Arbeitsruhe im weltlichen Bereich resultiert wesentlich aus der – namentlich durch den Wochenrhythmus bedingten – synchronen Taktung des sozialen Lebens. Während die Arbeitszeit- und Arbeitsschutzregelungen jeweils für den Einzelnen Schutzwirkung entfalten, ist der zeitliche Gleichklang einer für alle Bereiche regelmäßigen Arbeitsruhe ein grundlegendes Element für die Wahrnehmung der verschiedenen Formen sozialen Lebens. Das betrifft vor allem die Familien, insbesondere jene, in denen es mehrere Berufstätige gibt, aber auch gesellschaftliche Verbände, namentlich die Vereine in den unterschiedlichen Sparten. Daneben ist im Auge zu behalten, dass die Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen auch für die Rahmenbedingungen des Wirkens der politischen Parteien, der Gewerkschaften und sonstiger Vereinigungen bedeutsam ist und sich weiter, freilich im Verbund mit einem gesamten „freien Wochenende“, auch auf die Möglichkeiten zur Abhaltung von Versammlungen auswirkt. Ihr kommt mithin auch erhebliche Bedeutung für die Gestaltung der Teilhabe im Alltag einer gelebten Demokratie zu. Sinnfällig kommt das dadurch zum Ausdruck, dass nach der einfachrechtlichen Ausgestaltung der Tag der Wahlen ein Sonntag oder gesetzlicher Feiertag sein muss.“

Der Hamburger „Sonntagsfrieden“ ist auf dem Hintergrund dieser Werteorientierungen einerseits und der ökonomischen, kommerziellen und wettbewerblichen Interessen des Hamburger Einzelhandels andererseits ein pragmatischer Interessenausgleich und zugleich Ausdruck des gegenseitigen Respekts. Er besteht darin, sonntägliche Ladenöffnungen als absolute Ausnahme zu betrachten und sie auf maximal vier Sonntage zu beschränken, die hamburgweit einheitlich gelten und nicht auf Feiertage sowie die Adventszeit fallen dürfen. Seine rechtliche Abbildung ist im Hamburger Ladenöffnungsgesetz und seiner jahrelangen Auslegungspraxis enthalten.

Die regelmäßigen Versuche, diesen Konsens durch einen Paradigmenwechsel zugunsten eines Vorrangs der Kommerzialisierung zu verändern, lehnen wir ab. Gleichzeitig erwarten wir vom Senat und den Beteiligten an der Entscheidung über die zeitliche Lage der verkaufsoffenen Sonntage, dass die berechtigten Interessenlagen der verschiedenen Bezirke und Regionen (insbesondere der Außenbezirke) noch stärker berücksichtigt werden, und dabei auch den jeweils spezifischen regionalen Bedingungen einzelner Bezirke Rechnung getragen wird. Es entspräche nicht der Konzeption des Gesetzgebers, zuerst den jeweiligen Sonntagstermin festzulegen und anschließend den Anlass dafür zu schaffen – es sollte umgekehrt erfolgen. Eine kulturelle Gestaltung im Rahmen der besonderen Ereignisse, die die jeweiligen verkaufsoffenen Sonntage veranlasst haben, würde dem Eindruck einer ausschließlich kommerziellen Ausrichtung entgegen wirken.

 

Vor diesem Hintergrund möge die Bürgerschaft beschließen:

Der Senat wird ersucht, sich bei der Umsetzung des Hamburger Ladenöffnungsgesetzes auch weiterhin am „Hamburger Sonntagsfrieden“ zu orientieren und bei der Entscheidung über die zeitliche Lage der verkaufsoffenen Sonntage stärker als bisher die unterschiedlichen Interessen der Bezirke, insbesondere der Außenbezirke, mit ihren jeweils spezifischen regionalen Bedingungen zu berücksichtigen.