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zu Drs. 20/13165 Aktenvorlageersuchen nach Artikel 30 Hamburgische Verfassung zur Einsichtnahme in die Verträge zu JUS-IT

Donnerstag, 09.10.2014

1. Die Einrichtung des Projektes JUS-IT erfolgte zur Regierungszeit von CDU und GAL im Juli 2009: „Zum 1. Juli 2009 wurde das Projekt „JUS-IT – Jugendhilfe, Sozialhilfe und Wohngeld“ von der Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz (BSG), der Finanzbehörde (FB) sowie den Bezirksämtern Eimsbüttel und Wandsbek eingerichtet.“ (Quelle: Senatsmitteilung Drs. 19/7712 vom 02.11.2010, S.1)

 

Einige der am 01.07.2009 und nachfolgend Verantwortlichen, darunter auch solche, die heute noch bzw. wieder Mitglied der Bürgerschaft sind: Dietrich Wersich (zu diesem Zeitpunkt Sozialsenator - damalige BSG), Michael Freytag (Ex-Finanzsenator und CDU-Vorsitzender), Christa Goetsch (Zweite Bürgermeisterin), Jens Kerstan (damals wie heute Fraktionsvorsitzender der GAL bzw. von Bündnis 90/Die Grünen), Christiane Blömeke (damals wie heute jugendpolitische Sprecherin der Fraktion der GAL bzw. von Bündnis 90/Die Grünen). Staatsrat für Bezirke - damalig in der Finanzbehörde angesiedelt - war zum Zeitpunkt 01.07.2009 Dr. Manfred Jäger, zuvor Bürgerschaftsabgeordneter in der CDU-Fraktion.

 

2. Diese Senatsmitteilung Drs. 19/7712 enthält ausdrücklich die „Summe 2009-2015“ von „112,1“ Mio. Euro (siehe Tabelle Seite 11, Drs. 19/7712).

 

Zum Zeitpunkt der Senatsmitteilung am 02.11.2010 war im Senat - neben Dietrich Wersich – mittlerweile Finanzsenator Carsten Frigge (CDU) verantwortlich, der dann aber bereits am 24.11.2010 zurücktreten musste. Staatsrat in der von Senator Wersich geleiteten Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz (BSG) und mitverantwortlich für die Drs. 19/7712 war nun wiederum - der frühere Staatsrat für Bezirke – Dr. Manfred Jäger.

 

3. Diese Senatsmitteilung Drs. 19/7712 war aber nicht einmal eine erste „freiwillige“ Information des Senats über JUS-IT, sondern eine Mitteilung zur „Kenntnis“ (Ziffer 1 des Petitums), gezwungenermaßen gekoppelt mit einem Senatsantrag (Ziffer 2 des Petitums) an die Bürgerschaft auf „Nachbewilligung von Kassenmitteln nach § 33 LHO für den IT-Globalfonds im Haushaltsjahr 2010“ (Zitat ist ein Auszug aus dem Titel der Drs. 19/7712).

 

4. Eine externe Begleitung des Projektes JUS-IT durch ein unabhängiges Unternehmen war nicht vorgesehen; gleiches galt bzgl. regelmäßiger Berichte an die Fachausschüsse der Bürgerschaft. Auch in der Senatsmitteilung Drs. 19/7712 findet sich nichts dergleichen. Eine solche externe Begleitung wurde erst nach dem Regierungswechsel 2011 vom SPD-Senat organisiert: „Externes Berichtswesen für JUS-IT – Unabhängiges Unternehmen soll die Berichte an das Parlament steuern“ (PM der BASFI vom 28.06.2011).

 

5. Die von CDU und GAL zu verantwortende Senatsmitteilung 19/7712 samt Antrag auf Nachbewilligung wurde am 04.11.2010 in den Haushaltsausschuss (federführend) sowie in den Sozialausschuss und den Familien-, Kinder- und Jugendausschuss (jeweils mitberatend) überwiesen. Im abschließenden Bericht des Haushaltsausschusses (Drs. 19/8053 vom 01.12.2010), der die gemeinsame Stellungnahme von Sozialausschuss und Familien-, Kinder- und Jugendausschuss umfasst, heißt es zu JUS-IT: „Die GAL-Abgeordneten bemerkten, es sei Fakt, dass das bisherige IT-System veraltet sei. Sie könnten nicht beurteilen, ob das vorgestellte Verfahren das Optimum sei; die Ausführungen dazu seien jedoch überzeugend gewesen.“ (Drs.19/8053, S. 7, was Seite 6 von deren Anlage entspricht; Hervorhebungen nicht im Original). In der gemeinsamen Sitzung am 18.11.2010 waren für die GAL-Fraktion anwesend: Christiane Blömeke und die frühere GAL-Abgeordnete Martina Gregersen (Quelle: Protokoll 19/31 des Familien-, Kinder- und Jugendausschusses vom 18.11.2010, S. 3). Im Haushaltsausschuss war die GAL-Fraktion vertreten durch Jens Kerstan (Quelle: Protokoll 19/54 des Haushaltsausschusses vom 26.11.2010, S. 5).

 

6. Dieser abschließende Bericht des federführenden Haushaltsausschusses 19/8053 wurde am 16.12.2010 mit den Stimmen von CDU- und GAL-Fraktion in der Bürgerschaft beschlossen – gegen die SPD- und bei Enthaltung der „Linke“-Fraktion (Quelle: Plenarprotokoll19/69, S. 4334 bzw. Parlamentsdokumentation). Die Koalition aus CDU und GAL bestand zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Neben Christiane Blömeke und Jens Kerstan nahmen daher für die GAL-Fraktion auch die „zurückgekehrten“ Ex-Senatoren Christa Goetsch und Till Steffen als MdHB an der Abstimmung teil.

 

7. Haushaltsrelevante, inhaltliche bzw. fachpolitische Aussagen zu JUS-IT aus der zugrundliegenden CDU/GAL-Senatsmitteilung 19/7712 – und damit Basis der o.g. Einschätzung und des Abstimmungsverhaltens der Abgeordneten von CDU- und GAL-Fraktion (Nachfolgende Hervorhebungen nicht im Original):

 

Unter dem Punkt „Produktivitätsgewinne“ heißt es: „Den Kosten stehen Produktivitätsgewinne gegenüber. Sie ergeben sich durch folgende Effekte: (1) Fachlichkeit Jugendhilfe: Umstrukturierung der Angebote. Es entstehen Minderausgaben in Höhe von 12,0 Mio. Euro jährlich. Die BSG beabsichtigt, beginnend ab dem Jahr 2011 die über Fachleistungsstunden finanzierten Sozialpädagogischen Familienhilfen (SPFH) weitgehend durch zuwendungsfinanzierte, sozialräumlich ausgerichtete Hilfsangebote zu ersetzen. Diese Umsteuerung gelingt nur mit Unterstützung der neuen IT-Lösung, da PROJUGA die sozialräumlich ausgerichteten Hilfeangebote nicht hinreichend unterstützt. (…).“ Und weiter: „(2) Fachlichkeit Jugendhilfe: Verkürzung der Hilfedauer durch neue Steuerungsinstrumente. Es entstehen Minderausgaben in Höhe von 3,0 Mio. Euro jährlich durch folgende Effekte: (…). (…).

– Jedes Angebot weist auf Basis von hinterlegten Plankosten vor der Entscheidung durch den Anwender die voraussichtlichen Kosten der Maßnahme aus und fördert das Kostenbewusstsein. (…).

Die automatisierten Statistiken unterstützen die Vorgesetzten und das Management beim Controlling. Ausgehend vom Volumen der Hilfen im Jahr 2009 würde eine Verkürzung der durchschnittlichen Dauer ambulanter Hilfen um 1 Woche zu einer Haushaltsentlastung von 1 Mio. Euro, bei stationären Hilfen von 2 Mio. Euro pro Jahr führen.(…)“

(19/7712, Auszüge aus Punkt 7.2 „Produktivitätsgewinne“, S. 10).

 

Unter dem Punkt „Fehlende IT-Unterstützung zur Steuerung von Angeboten und Ressourcen in der Jugendhilfe“ heißt es: „Angesichts der jährlich stetig steigenden Fallzahlen und Kosten für Hilfen zur Erziehung wurde im Dezember 2008 ein Kontrakt zwischen der Finanzbehörde, der Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz und den Bezirksämtern zur Steuerung der Hilfen zur Erziehung geschlossen. Dieser Kontrakt sieht vor, die Ausgaben im genannten Bereich strukturell und nachhaltig zu begrenzen. Zwei der wesentlichen Maßnahmen sind die Optimierung der Steuerung in den Hilfeverläufen und die verstärkte Nutzung von Angeboten der Familienbildung und der sozialräumlichen Angebote durch den ASD. Die wirksame Umsetzung dieser Maßnahmen benötigt eine IT-Unterstützung, die die Hilfeplanung inkl. Ziel-, Maßnahmen- und Verlaufsplanung sowie eine zentrale Verwaltung der Angebote enthält. In der Angebotsverwaltung soll auch die Eignung sozialräumlicher Angebote als Alternativen zu kostenintensiven Hilfen zur Erziehung abgebildet werden. Diese Anforderungen kann das derzeitige Verfahren PROJUGA nicht erfüllen. Die für 2011 und 2012 angestrebte Kostensenkung setzt eine neue IT-Lösung zwingend voraus.“

(19/7712, Auszüge aus Punkt 3.4 „Fehlende IT-Unterstützung zur Steuerung von Angeboten und Ressourcen in der Jugendhilfe“, S. 3 f.).

 

Und unter dem Punkt „Kundenzentrierte Hilfestellung“ folgt eine Zielsetzung: „Die Software soll die Integration des Fallmanagements ermöglichen. Bei wichtigen Prozessen soll sichergestellt werden, dass nicht nur der einzelne Antrag auf Gewährung einer Hilfeleistung geprüft wird, sondern nach dem Lebenslagen-Prinzip bezogen auf die Person eine Gesamtbewertung, eine Gesamtplanung vorgenommen, vereinbart und gesteuert sowie die kombinierte Sichtweise unterschiedlicher Hilfen berücksichtigt wird.“

(19/7712, Auszug 4.2.2 „Kundenzentrierte Hilfestellung“, S. 5).

 

8. Auf Druck der SPD-Fraktion gab es am 11.01.2011 eine Selbstbefassung des Familien-, Kinder- und Jugendausschusses mit Sachverständigenanhörung (§ 53 (2) i. V. mit § 58 (2) der GO): „IT-Verfahren ‚JUS-IT‘“. (Bericht Drs. 19/8550 bzw. inhaltlich das (Wort-)Protokoll 19/33 des Ausschusses.)

 

9. In der letzten Sitzung der 19. Legislaturperiode, am 09.02.2011 und damit elf Tage vor der Bürgerschaftswahl (sic!), legte die GAL-Fraktion einen Zusatzantrag zu einem Antrag der Linken vor: „IT Verfahren JUS-IT“ (19/8678). Der Antrag wurde von CDU und GAL (zu dieser Zeit keine Koalitionspartner mehr) gegen SPD und gegen die Linke beschlossen.

 

Das Petitum lautet: „Der Senat wird ersucht,

1. die Entwicklung und Einführung der neuen Software durch eine externe Qualitätssicherung begleiten zu lassen.

2. der Bürgerschaft unverzüglich über die Fachkonzepte für die Teilprojekte 3 – 10 und deren voraussichtliche Kosten zu berichten.

3. der Bürgerschaft im zuständigen Fachausschuss regelmäßig halbjährlich über den Fortgang des Projekts und die Erkenntnisse der verfahrensbegleitenden Qualitätssicherung zu berichten.“

 

Der abgelehnte Basisantrag der Linken (19/8546) lautete:

 

„Der Senat wird aufgefordert,

1. umgehend von Dataport, dem Softwarebetreiber und dem Senat unabhängige Experten/Expertinnen einzusetzen, die die Planungen für die Einführung prüfen;

2. die Ergebnisse unverzüglich der Bürgerschaft zur Kenntnis zu geben;

3. der Bürgerschaft über seine Bemühungen zu berichten.“

 

Diese Anträge wurden von der SPD-Fraktion abgelehnt, weil es als nicht angemessen betrachtet wurde, nach dem o.g. Vorlauf zu JUS-IT in der letzten Sitzung der Bürgerschaft in der 19. LP hierzu Anträge zu beschließen. Von daher hatte die SPD auch auf einen eigenen (Zusatz-)Antrag verzichtet.

10. Ein externes Berichtswesen eines unabhängigen Unternehmens wurde dann nach dem Regierungswechsel vom SPD-Senat umgesetzt. Pressemitteilung der BASFI vom 28.06.2011: „Externes Berichtswesen für JUS-IT – Unabhängiges Unternehmen soll die Berichte an das Parlament steuern“. Hier heißt es: „Wir werden dem Ausschuss unser Konzept für das Berichtswesen so schnell wie möglich vorstellen, nachdem wir den externen Sachverstand gewonnen haben. Dann werden die Ausschussmitglieder auch noch die Chance haben, Anmerkungen zu machen und Wünsche zu äußern.“ Dieses Verfahren wurde von der CDU-Fraktion ausdrücklich befürwortet: In der Pressemitteilung der CDU-Fraktion vom 29.06.2011 heißt es: „CDU-Fraktion begrüßt externes Berichtswesen für JUS-IT“. In der Sitzung des Familien-, Kinder- und Jugendausschusses vom 12.08.2011 erklärten die CDU-Abgeordneten mit Bezug auf das vereinbarte Berichtswesen und ausdrücklich auf den o.g. - gemeinsam mit der GAL-Fraktion noch in der 19. Legislaturperiode beschlossenen - Antrag, „dass damit dem Petitum der Drucksache 19/8678 Genüge getan sei“ (Protokoll Nr. 20/3 des Familien-, Kinder- und Jugendausschusses, S. 7).

 

Vor diesem Hintergrund möge die Bürgerschaft beschließen:

Zusätzlich zu den Ziffern 1. und 2. aus der Drs. 20/13165 wird beantragt:

 

3. Der Senat wird gemäß Artikel 30 HV ersucht, sämtliche Unterlagen bzw. Akten vorzulegen zu Vorlauf, Verantwortlichkeiten und nachfolgenden Schritten der Einrichtung des Projektes „JUS-IT“ zum 01.07.2009 (vgl. auch Drs. 19/7712).

 

4. Der Senat wird ferner ersucht, darzustellen

 

a) auf welcher Basis es eine Zeit- und Kostenschätzung zur Umsetzung des Projektes gab und inwieweit diese nachfolgend Bestand hatte;

 

b) welche weiteren Kosten – z.B. zur Umsetzung gesetzlicher, technischer oder fachlicher Änderungen – u.a. in der in Drs. 19/7712 nicht berücksichtigt wurden oder werden konnten und ob und ggfs. inwieweit mit der Summe von „112,1“ Mio. Euro als „Summe von 2009 bis 2015“ (vgl. Drs. 19/7712, S. 11) Vorsorge für sich ändernde Anforderungen an das Projekt getroffen wurde.