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Zusammenhalt fördern: Einsamkeit zum Thema machen und etwas dagegen tun

Montag, 07.08.2023

Unterschiedlichen Studien und Meinungsumfragen zufolge fühlt sich in Deutschland jede:r sechste Bürger:in sehr oft, jede zweite Bürger:in sogar mindestens manchmal einsam und alleine. Das Einsamkeitsgefühl wird maßgeblich von der Lebenssituation, Prägungen und Persönlichkeit beeinflusst und ist ein unabhängig vom Lebensalter wahrzunehmendes Phänomen. So vielfältig und individuell die Ursachen sind, ob persönliche Schicksalsschläge, der Tod von Partner:innen oder Familienmitgliedern, sprachliche Barrieren, Suchterkrankungen, mangelnde Zugehörigkeit und Teilhabe, Armut, Gewalt-, Diskriminierungs- und Mobbingerfahrungen, so unterschiedlich sind auch die Wirkungsweisen und Handlungsoptionen.

Studien zufolge sinkt die Lebenserwartung von sich einsam fühlenden Menschen signifikant und sie leiden auch häufiger an körperlichen und psychischen Erkrankungen als der Durchschnitt Gleichaltriger. Die Erkrankungen äußern sich verstärkt in Schlafstörungen, Beklemmung, Reizbarkeit, Gefühlen von Ausgrenzung und Wertlosigkeit, Rückzug, passivem Verhalten in einer möglichen Therapie sowie der Wahrnehmung anderer Menschen als bedrohlich.

Die bestehenden Untersuchungen zum Phänomen offenbaren, dass Einsamkeit häufiger an soziale und ökonomische Verhältnisse geknüpft ist. So gibt es starke Unterschiede zwischen verschiedenen Erwerbsklassen und Bildungshintergründen. Genau so sind Menschen, die ökonomisch und sozial nicht benachteiligt, jedoch alleinstehend und hochbetagt sind, häufiger betroffen.

Unabhängig vom Einkommen ist allerdings auch erkennbar, dass erwerbstätige Personen seltener einsam sind als nicht erwerbstätige Personen. Ebenso ist bezeichnend, dass Personen, die sich regelmäßig ehrenamtlich engagieren, sich auch seltener einsam fühlen.

Gerade die Corona-Pandemie hat die Situation der Betroffenen verschärft. Auch wenn die Folgen der Pandemie noch nicht gänzlich aufgearbeitet sind, gibt es bereits Hinweise darauf, dass zu den o. g. Gruppen auch Frauen, junge Erwachsene zwischen 18 und 30 Jahren, Migrant:innen und Menschen mit geringer Bildung oder niedrigem Einkommen ein deutlich erhöhtes Risiko haben. Ebenso auch alleinerziehende Eltern, alleinlebende Menschen und Menschen mit psychischen oder körperlichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen sowie Kinder von Eltern, auf die die genannten Risikofaktoren zutreffen. Paradoxerweise verschärfen zudem die so bezeichneten „sozialen“ Medien mit algorithmusbasierten Anerkennungs- und Wertschätzungsmechanismen dieses Massenphänomen.

Es gibt bereits ein Problembewusstsein, Ansätze und auch Überlegungen in anderen Ländern. Der Blick auf einen europäischen oder internationalen Vergleich ergibt: Großbritannien hat beispielsweise Anfang 2018 das Thema Einsamkeit erstmals in einem Ministerium verankert. Auch der nordrhein-westfälische Landtag hat in der 17. Wahlperiode die Enquetekommission „Einsamkeit – Bekämpfung sozialer Isolation in Nordrhein-Westfalen und der daraus resultierenden physischen und psychischen Folgen auf die Gesundheit“ im Zeitraum von Mai 2020 bis März 2022 eingesetzt. Hier hat sich die Kommission mit den betroffenen Personengruppen auseinandergesetzt und beraten, welche Rahmenbedingungen und individuellen Bedingungsfaktoren einen positiven oder negativen Einfluss haben.

Die Bundesregierung hat bereits einige Maßnahmen gegen Einsamkeit auf den Weg gebracht. Das Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) erarbeitet seit Juni 2022 gemeinsam mit dem Kompetenznetz Einsamkeit (KNE) und mithilfe eines breiten Beteiligungsprozesses eine Strategie gegen Einsamkeit. Zum Themenbereich Einsamkeit im Alter werden bspw. auch gezielt Mehrgenerationenhäuser gefördert und das Bundesministerium für Gesundheit hat mit dem Projekt MonAge zudem das Robert Koch-Institut beauftragt, ein Monitoring für Einsamkeit bei Hochaltrigen vorzunehmen. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zielt im Rahmen ihres Projektes Gesundes Alter besonders darauf ab, ältere alleinlebende Männer aus ihrer sozialen Isolation zu bewegen.

Trotz eines bestehenden Angebots in der Sozialen Arbeit besteht häufig auch die Herausforderung, dass Einsamkeit ein Tabu-Thema ist, das mit Angst und Scham verbunden wird. Es fehlt den Betroffenen die Sprache und die Bezugsorte, ihr Empfinden zu artikulieren. Und auch wenn es diese Bezugsorte gibt, sind diese Maßnahmen öffentlich und in der Breite zu wenig wahrnehmbar, um die Zielgruppen überhaupt zu erreichen und die lokalen Akteur:innen untereinander besser zu vernetzen.

Die Freie und Hansestadt Hamburg setzt seit vielen Jahren einen besonderen Akzent auf die Förderung des sozialen Zusammenhalts. Hierbei ist beispielsweise die Hamburger Engagementstrategie zur Aktivierung der Bürger:innengesellschaft, die Förderung von Sport und Kultur und die Förderung des freiwilligen Engagements von und für Senior:innen zu nennen. Aber auch die Einführung des Hamburger Hausbesuchs für ältere Menschen und die Stärkung aufsuchender Elemente der sozialen Arbeit im Kontext sozialräumlicher Ansätze, wie der lebendigen Nachbarschaften (z. B. LENA Projekte) stehen in diesem Zusammenhang. Mit der Erleichterung für die Nachbarschaftshilfen bspw. für pflegebedürftige Menschen sowie der Förderung von Senior:innentreffs und niedrigschwelliger, offener Angebote für alle Altersgruppen verfügt Hamburg bereits über gute Ansätze, um Vereinsamung entgegenzuwirken. Zudem hat die Bürgerschaft Mittel für die Aufstellung von altersfreundlichen Freundschaftsbänken in allen Bezirken bereitgestellt. Diese Bänke sind Begegnungsorte im öffentlichen Raum, die zu spontanen Gesprächen einladen. Wer auf einer Freundschaftsbank Platz nimmt, signalisiert Gesprächsbereitschaft.

Auch der geplante Teilhabenavigator, dessen Realisierung die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen im Koalitionsvertrag verankert haben, soll soziale Teilhabe durch niedrigschwelligere Zugänge zu den bestehenden Angeboten verbessern.

Es bietet sich an, bestehende Plattformen wie www.hamburg-aktiv.info und weitere Angebote daraufhin zu überprüfen, welchen Beitrag sie zur Prävention und Überwindung von unfreiwilliger Einsamkeit bieten.

 

Die Bürgerschaft möge beschließen:

Der Senat wird ersucht,

 

1. sich mit bestehenden Strategien und wissenschaftlichen Ansätzen zum gesellschaftlichen Umgang, zur Enttabuisierung und Bewältigung des verbreiteten und generationenübergreifend relevanten Phänomens der Einsamkeit zu befassen und dabei auch Handlungskonzepte im internationalen Vergleich einzubeziehen. Dabei soll auch geprüft werden, welche Ansätze sich im Weiteren für eine Hamburger Strategie ergeben könnten.

2. das Aus- und Weiterbildungsangebot für Fachkräfte (in der Pflege, in der therapeutischen Behandlung, Seelsorger:innen, Sozialpädagog:innen, Sozialarbeiter:innen, in unterschiedlichen Bereichen der öffentlichen und sozialen Daseinsvorsorge) zu Handlungskompetenzen in der Früherkennung und Bewältigung von Einsamkeit zu prüfen und ggf. weiterzuentwickeln.

3. zu überprüfen, inwiefern lokale Netzwerke in den Quartieren, niedrigschwellige Beratungs- und Behandlungsangebote, digitale und telefonische Anlaufstellen, Selbsthilfegruppen und weitere Begegnungsangebote für dieses Thema sensibilisiert sind und ggf. unterstützt werden können.

4. die Bekanntheit und Nutzung der Plattform „Hamburg-Aktiv“ zu erhöhen, die von der Freien und Hansestadt Hamburg unterstützt wird und Zugänge zu vielfältigen Angeboten zu Bildung und Freizeitgestaltung enthält.

5. im Rahmen der Hamburger Engagementstrategie Wege ins freiwillige Engagement für und mit von Einsamkeit betroffenen Menschen aufzuzeigen, da das freiwillige Engagement vielfältige Chancen für sinnvolle und selbstbestimmte gemeinschaftliche Aktivitäten bietet. Hierbei sind auch die bestehenden Angebote speziell für Senior:innen einzubeziehen.

6. der Bürgerschaft bis 31.08.2024 zu berichten.

 

sowie
  • der Abgeordneten Yusuf Uzundag
  • Christa Möller-Metzger
  • Filiz Demirel
  • Mareike Engels
  • Alske Freter
  • Linus Görg
  • Michael Gwosdz
  • Dr. Adrian Hector
  • Britta Herrmann
  • Sina Imhof
  • Zohra Mojadeddi
  • Dr. Gudrun Schittek
  • Peter Zamory (GRÜNE) und Fraktion