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Zusatzantrag zu 22/12141 Reform der Erbschaftssteuer: Gerechter, nachhaltiger, einfacher.

Montag, 19.06.2023

Deutschland hat – auch im Verhältnis zu anderen EU-Staaten – eine hohe Vermögenskonzentration. Ein wiederum hoher Anteil dieses Vermögens ist geerbt. Basierend auf dem Panel „Private Haushalte und ihre Finanzen (PHF)“ und anderen Vermögensuntersuchungen kommen Autoren von der FU Berlin zu dem Ergebnis, dass 4/5 des Vermögens des obersten Prozents aus Erbschaften stammen. Insbesondere für die Mittelschicht sind Erbschaften dagegen eine wichtige vermögensbildende Maßnahme und machen einen Anteil von ungefähr einem Drittel des Vermögens der Haushalte aus. Insbesondere die Konzentration der Erbschaften und Vermögen im obersten Prozent widersprechen den gesellschaftlichen Grundwerten von Chancengleichheit – denn jede und jeder soll unabhängig von der Herkunft die gleichen Startchancen haben.

Die heute geltende Erbschaft- und Schenkungsteuer ist insbesondere schlecht darin, mehr Gerechtigkeit zu schaffen. Ein kompliziertes Erbschaftssteuergesetz mit umfassenden Ausnahmen und Privilegien besteuert vor allem die Mittelschicht, nicht aber große Vermögen. Die Steuerraten für Erben von Vermögen unter einer Million Euro betragen dabei durchschnittlich 10 Prozent. Erben von Vermögen ab 10 Millionen Euro zahlen nur noch durchschnittlich 5 Prozent Erbschafts- und Schenkungssteuer und Erben von Vermögen über 100 Millionen Euro sogar nur noch 0,2 Prozent. Nicht zuletzt aufgrund der einseitigen Privilegierung hoher Vermögen hat das Bundesverfassungsgericht in den letzten Jahren immer wieder eine Reform des Erbschaft- und Schenkungssteuerrechts angemahnt.

Die Gesetzgebungskompetenz für die Erbschaft- und Schenkungsteuer hat gem. Art. 105 (2) GG i.V.m. Art. 72 (2) GG der Bund. Die Erbschaft- und Schenkungsteuer ist im Erbschaftssteuergesetz (ErbStG) geregelt. Lediglich ihr Aufkommen steht den Ländern komplett zu. Laut vorliegendem Geschäftsbericht der Freien und Hansestadt Hamburg für 2021 wurden rund 666 Millionen Euro an Volumen aus erbschaft- oder schenkungssteuerrelevanten Vorgängen eingenommen. Die Bemessungsgrundlagen der Erbschaftsteuer bemisst sich nach § 12 ErbStG i.V.m. den Vorschriften des Bewertungsgesetzes.

Im Fokus der politischen und juristischen Debatte stehen weiterhin die Privilegierung von Betriebsvermögen als auch der Immobilien. Durch die konsequente Reduzierung der Privilegien kann eine Angleichung der faktischen Steuersätze an ein lineares oder progressives Modell geschafft werden – im Gegensatz zum aktuell faktisch degressiven Modell.

I. Betriebsvermögen

Nach Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 2014 (1 BvL 21/12) wurde festgehalten, dass die Erbschaftssteuer in der damaligen Ausgestaltung nicht in jeder Hinsicht mit dem Grundgesetz vereinbar war. Der Gesetzgeber war aufgefordert, eine Neuregelung herbeizuführen. Diese Neuregelung wurde vorgenommen.

Die aktuelle Rechtslage führt dazu, dass das steuerpflichtige Vermögen von bis zu 26 Millionen Euro mindestens zu 85 Prozent, auf Antrag auch bis zu 100 Prozent, von der Erbschafsteuer verschont bleibt. Eine Stundungsmöglichkeit ist gem. § 28 ErbStG gegeben. Sollte das steuerpflichtige Vermögen oberhalb von 26 Millionen Euro liegen, kann die*der Erbin*e bzw. Beschenkte unter Umständen sogar eine komplette Befreiung der Erbschafsteuer beantragen gem. § 28a ErbStG, wenn sie*er die Erbschaftsteuer nicht aus eigenen Mitteln zahlen kann. Gerade die letztere komplette Erlassmöglichkeit stellt einen Wettbewerbsvorteil von besonders großen Unternehmen gegenüber kleineren und mittleren Unternehmen dar.

II. Immobilienvermögen

Immobilienvermögen wird nicht nach den tatsächlichen Werten angesetzt, sondern je nach Immobilienart nach dem sog. Sachwert-, Vergleichswert- und/oder Ertragswertverfahren. Diese Bewertungsansätze entsprechen aber bei weitem nicht ihren tatsächlichen Werten, sondern liegen zum Teil bedeutsam unter diesen. Das Bundesverfassungsgericht hat zurecht darauf verwiesen, dass es keinen Unterschied machen darf, ob Immobilien oder z. B. Bargeld vererbt werden.

Aufgrund dieser Rechtsprechung wurde die Immobilienwertverordnung (ImmoWertV) angepasst und das Bewertungsgesetz mit dem Jahressteuergesetz 2022 entsprechend geändert. Es erfolgte eine Annäherung an den Verkehrswert der Immobilie.

Selbstgenutzte Immobilien können für Ehegatten dann komplett von der Erbschaftsteuer ausgenommen werden, für Kinder bei einer Wohnfläche von 200 Quadratmetern, solange diese die nächsten zehn Jahre genutzt werden. Gerade bei den Kindern von Erblassern entspricht dieses aber nicht mehr zwingend der Lebensrealität. Eine Anpassung der Haltefrist wäre hier angebracht.

Gleichzeitig hat die bayrische Staatsregierung ihre immer wieder angedrohte Verfassungsklage im Kabinett beschlossen und plant diese als Wahlkampfmanöver im Juni einzureichen. Die aktuelle bayrische Staatsregierung würde die Erbschaftsteuer am liebsten ganz abschaffen, mindestens die Steuersätze aber auf das kleinste Niveau senken. Ein Steuerwettbewerb durch regionalisierte Steuersätze sollte aber unbedingt verhindert werden. Auch ein Inflationsausgleich bei Erb*innen hat keine finanzpolitische Priorität. Die Einnahmebasis der Erbschaft- und Schenkungsteuer für die Länder darf nicht weiter ausgehöhlt werden, sondern sollte durch konsequenten Abbau von Privilegien und Ausnahmen entbürokratisiert werden und damit gerechter werden.

 

Die Bürgerschaft möge beschließen:

Der Senat wird ersucht,

1. sich in den geeigneten Gremien auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass im Rahmen einer Reform der Erbschaftsteuer

a. Ausnahmetatbestände im Erbschaftssteuergesetz (ErbStG) konsequent im Rahmen einer Vereinfachung abgebaut werden,

b. die steuerfreie Vererbung selbstgenutzten Familieneigentums möglich bleiben soll, die Haltefristen sollen dabei einer Neujustierung unterworfen werden,

c. Vermietende, die mittels der Höhe des Mietzinses einen besonderen Beitrag zum bezahlbaren Wohnen leisten, steuerlich ebenso begünstigt werden,

d. die unterschiedlichen Freibeträge bei Schenkungsfällen und Erwerben von Todes wegen zu einem einheitlichen Lebensfreibetrag zusammengefasst werden, ohne dabei Gelegenheitsgeschenke oder andere kleine Schenkungen zu bürokratisieren.

e. die Stundungsregelungen gerade für Betriebsvermögen großzügiger gestaltet werden,

f. die Möglichkeit des kompletten Erlasses der Erbschaftsteuer i.S.d. § 28a ErbStG ersatzlos gestrichen wird und auch diese Erbschaften einer Mindestbesteuerung unterworfen werden,

2. sich dem Vorstoß des Freistaats Bayern für eine Regionalisierung der Erbschaftsteuer zu widersetzen und die – für die FHH wichtige – Einnahmebasis der Erbschaftsteuer durch Gesetzesänderungen nicht zu gefährden,

3. der Klage des Freistaats Bayern gegen die aktuelle Regelung der Erbschaftsteuer entgegenzutreten,

4. der von anderen Bundesländern und teilweise vom Bund vorgetragenen Notwendigkeit eines Inflationsausgleichs bei den Freibeträgen zu widersprechen. Ein Inflationsausgleich bei Erb*innen hat keine finanzpolitische Priorität.

5. der Bürgerschaft bis zum 30. Juni 2024 zu berichten.

 

sowie
  • der Abgeordneten Dennis Paustian-Döscher
  • Eva Botzenhart
  • Mareike Engels
  • Alske Freter
  • René Gögge
  • Linus Görg
  • Michael Gwosdz
  • Jennifer Jasberg
  • Lisa Kern
  • Dominik Lorenzen
  • Zohra Mojadeddi
  • Andrea Nunne
  • Dr. Miriam Putz
  • Lena Zagst
  • (GRÜNE) und Fraktion