Zum Hauptinhalt springen

Opferrechtsreformgesetz – Wie hat Hamburg im Bundesrat votiert?

Dienstag, 16.06.2009

Der Bundesrat hat in seiner 857. Sitzung am 03. April 2009 eine Stellungnahme zu dem Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Stärkung der Rechte von Verletzten und Zeugen im Strafverfahren (2. Opferrechtsreformgesetz, Drucksache 16/12812) beschlossen.

Die Senatsseite hat den Bürgerschaftsfraktionen seinerzeit mitgeteilt, Hamburg habe im Bundesrat eine „umfangreiche Stellungnahme“ unterstützt, „mit der die Rechte der Opfer und Zeugen in einem Strafverfahren verbessert werden sollen“. Die Stellungnahme des Bundesrats enthält jedoch eine ganze Reihe von Vorschlägen, die Opfern und Zeugen weniger Rechte einräumen wollen als von der Bundesregierung geplant:

1. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht in § 68 Abs. 4 S. 4 StPO-Entwurf vor, dass Daten in der gesamten Akte unkenntlich zu machen sind, soweit dem Zeugen gestattet wurde, Daten nicht anzugeben. In seiner Stellungsnahme schlägt der Bundesrat vor, diesen Passus aus Gründen der Aktenklarheit und Aktenwahrheit, und weil die polizeiliche Gestattung der Nichtangabe von Daten für Staatsanwaltschaft und Gericht nicht bindend sein könne, zu streichen.

2. Der Bundesrat möchte in § 138 Abs. 3 StPO-E die Vertretung von Zeugen und Verletzten auf den in § 138 Abs. 1 StPO genannten Personenkreis beschränken. Zeugen, Privatklägern, Nebenklägern und Nebenklagebefugten wird damit im Gegensatz zu Beschuldigten bei der Wahl des Verteidigers die Möglichkeit verwehrt, andere Personen als Rechtsanwälte und Hochschullehrer als Beistand zu wählen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hingegen sieht zusätzlich den Verweis auf Abs. 2 vor, so dass auch weitere Personen mit der Vertretung beauftragt werden können. § 138 Abs. 2 StPO sieht vor, dass andere Personen nur mit Genehmigung des Gerichts zugelassen werden können.

3. Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung soll in § 142 Abs. 1 StPO zukünftig die Beschränkung entfallen, dass ein dem Beschuldigter zu bestellender Verteidiger „möglichst aus der Zahl der in dem Gerichtsbezirk niedergelassenen Rechtsanwälte“ auszuwählen ist. Der Bundesrat schlägt vor, von dieser Änderung des § 142 Abs. 1 StPO, der über Verweisungsnormen auch für Zeugen, Nebenkläger und Nebenklagebefugte gilt, denen ein anwaltlicher Beistand beizuordnen ist, abzusehen. Die Bestellung ortsfremder Rechtsanwälte führe zu Verfahrungsverzögerungen und erheblichen Mehrkosten für die Staatskasse.

4. Nach § 163 Abs. 3 StPO-E soll die Vorschrift des § 58a StPO, die die Aufzeichnung von Zeugenvernehmungen auf Bild-Ton-Träger regelt, auch für die polizeiliche Zeugenvernehmung gelten. Die Entscheidung, ob die polizeiliche Vernehmung eines Zeugen auf Bild-Ton-Träger aufzuzeichnen ist, sollte nach Auffassung des Bundesrates der Staatsanwaltschaft vorbehalten bleiben, da die Beamten des Polizeidienstes mit der Vornahme der gebotenen Abwägung am Maßstab der Verhältnismäßigkeit überfordert sein könnten.

5. Der Bundesrat schlägt im Gegensatz zum Gesetzentwurf der Bundesregierung vor, den bisherigen § 395 Abs. 1 Nr. 2 StPO, nach dem sich der Verletzte einer rechtswidrigen Tat nach §§ 185 bis 189 StGB der erhobenen öffentlichen Klage oder dem Antrag im Sicherungsverfahren mit der Nebenklage anschließen kann, zu streichen. Bei den im Vergleich zu den anderen genannten Delikten relativ leichtgewichtigen Beleidigungsdelikten sei eine besondere Schutzbedürftigkeit des Opfers nicht gegeben und daher die Anschlussbefugnis zur Nebenklage nicht erforderlich.

6. Ferner soll nach Ansicht des Bundesrates in § 395 Abs. 3 StPO-E das Wort „insbesondere“ gestrichen werden, um einen abschließenden Katalog von Nebenklagedelikten zu erhalten. Damit solle der Gefahr der Ausuferung und fehlenden Rechtsklarheit begegnet werden, die bestehe, wenn die genannten Delikte weiterhin als Regelbeispiele behandelt würden. Die Bundesregierung sieht in dieser Streichung des Auffangtatbestandes in § 395 Abs. 3 StPO-E eine erhebliche Einschränkung der Möglichkeit, sich dem Verfahren als Nebenkläger anzuschließen.

7. Der Bundesrat schlägt weiterhin vor, in § 395 Abs. 1 Nr. 4 StPO die Angabe „223“ durch die Angabe „224“ zu ersetzen und dafür in Abs. 3 die Angabe „§§ 229“ durch §§ 223, 229“ zu ersetzen. Das bedeutet, dass eine Nebenklage bei einer vorsätzlichen Körperverletzung gem. § 223 StGB nur noch unter der Voraussetzung des Abs. 3, also wenn dies aus besonderen Gründen geboten ist, möglich ist.

8. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht in § 397a Abs. 1 Nr. 3 StPO-E vor, dass dem Nebenkläger auf seinen Antrag ein Rechtsanwalt als Beistand zu bestellen ist, wenn er durch ein Verbrechen nach §§ 226, 234 bis 235, 238 bis 239b, 249, 250, 252, 255 und 316a des Strafgesetzbuches verletzt ist, das bei ihm zu schweren körperlichen oder seelischen Schäden geführt hat oder voraussichtlich führen wird. Der Bundesrat erachtet dies nicht zuletzt aus fiskalischen Gründen als zu weitgehend und schlägt vor, die Angabe „234 bis 235, 238 bis 239b, 249, 250, 252, 255 und 316a“ durch „238 Absatz 3, 239a und 239b“ zu ersetzen.

9. Nach § 397a Abs. 1 Nr. 4 StPO-E ist dem Nebenkläger auf seinen Antrag ein Rechtsanwalt als Beistand zu bestellen, wenn er durch eine von den Nummern 1 bis 3 nicht erfasste rechtswidrige Tat nach den §§ 174 bis 182, 221, 225, 232 bis 233a, 235, 238 Absatz 2 und § 240 Absatz 4 des Strafgesetzbuches verletzt ist und er bei Antragstellung das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder seine Interessen selbst nicht ausreichend wahrnehmen kann. Der Bundesrat schlägt einschränkend vor, die Angaben „221“ und „235“ zu streichen und nach der Angabe „§ 240 Absatz 4“ die Angabe „Satz 2 Nummer 1 und 2“ einzufügen.

10. § 406e StPO gewährt einem Rechtsanwalt für den Verletzten ein Akteneinsichtsrecht, sofern er hierfür ein berechtigtes Interesse darlegt. Nach § 406e Absatz 2 Satz 1 und 2 StPO kann die Einsicht in die Akten unter bestimmten Voraussetzungen versagt werden. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht mittels einer Anfügung eines § 406e Absatz 2 Satz 3 StPO vor, dass dies nicht möglich sein soll, wenn die Staatsanwaltschaft in den in § 395 StPO genannten Fälle den Abschluss der Ermittlungen in den Akten vermerkt hat. Nach Ansicht des Bundesrates ist diese Formulierung zu streichen, da es auch nach Anklageerhebung zu Situationen kommen könne, in denen die Akteneinsicht zu versagen sei.

11. Nach § 406e Absatz 4 StPO entscheidet über die Gewährung der Akteneinsicht im vorbereitenden Verfahren und nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens die Staatsanwaltschaft, im Übrigen der Vorsitzende des mit der Sache befassten Gerichts. Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung soll § 406e Absatz 4 Satz 3 StPO mit der Angabe „Die Entscheidung des Gerichts ist unanfechtbar, solange die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind.“ Der Bundesrat schlägt vor, den letzten Halbsatz zu streichen, da die Einlegung der Beschwerde des Geschädigten einen erheblichen Mehraufwand bedeutete, welcher sachlich nicht gerechtfertigt erscheine.

Für die Stärkung der Rechte von Verletzten und Zeugen sind insbesondere die Möglichkeit der Nebenklage und die Bestellung eines Rechtsbeistands von zentraler Bedeutung. Die Vorschläge des Bundesrates bleiben gerade in diesen Punkten weit hinter dem Entwurf der Bundesregierung zurück, teilweise stellen sie eine Verschlechterung der Zeugen- und Verletztenstellung im Vergleich zur aktuellen Rechtslage dar.

 

Ich frage den Senat:

 

a) Wie hat sich Hamburg bei der Beratung und Abstimmung über die genannten Punkte (Ziffer 1 – 11) im Einzelnen verhalten und welche Erwägungen lagen dem zugrunde? Hat Hamburg sich gegen diese Vorschläge ausgesprochen?

b) Welche Inhalte und Ziffern sind insbesondere auf Antrag Hamburgs in die Stellungnahme eingegangen? Welche Erwägungen lagen diesem Verhalten zugrunde?

c) Sieht der Senat den Gesetzesentwurf der Bundesregierung für ein Opferrechtsreformgesetz im Hinblick auf die Ergänzung der Verletzten- und Zeugenrechte als zu weitgehend an?